Rz. 238

 

An der Erstellung dieses Beitrags hat Rechtsanwalt André Wilk mitgewirkt.

I. Allgemeines

 

Rz. 239

Eine große Fehlerquelle der Schadensregulierung liegt darin, dass der Anwalt und der Geschädigte häufig nicht alle in Betracht kommenden vermehrten Bedürfnisse erkennen und darüber hinaus bei deren Bezifferung nicht sauber gearbeitet wird. Auf diese Weise gehen u. U. in der Regulierung Schadensersatzleistungen im vier- bis fünfstelligen Euro-Bereich verloren. Für den Rechtsanwalt stellt dies ein erhebliches Haftungsrisiko dar und für den Geschädigten ist es schlicht ärgerlich.

1. Begriff

 

Rz. 240

Was unter den vermehrten Bedürfnissen zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Hierzu hat der BGH wiederholt ausgeführt, dass darunter unfallbedingte Mehrausgaben zu verstehen sind, die ein Verletzter im Vergleich zu einem gesunden Menschen hat, weil er damit Nachteile auszugleichen hat, die aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigungen entstehen (vgl. u.a. BGH VersR 1974, 162; BGH, Urt. v. 19.1.1955 – VI ZR 134/54).

 

Praxistipp

Man kann mit Hilfe einer einfachen Frage abgrenzen, ob eine bestimmte Geldausgabe zu dieser Thematik vom Schädiger zu erstatten ist oder nicht: Immer dann, wenn der Geschädigte sein Portemonnaie aus der Tasche zieht, um einen Betrag für eine Ware oder Dienstleistung zu bezahlen, die er ohne den Unfall nicht erworben hätte, dann handelt es sich um eine unfallbedingte Mehrausgabe, die vom Schädiger zu erstatten ist. Bezahlt er jedoch solche Waren und Dienstleistungen, die er auch ohne den Unfall gekauft hätte, dann handelt es sich nicht um eine Schadensersatzposition, sondern um sog. "Sowieso-Kosten".

Die gesetzliche Regelung dieses Anspruchs findet sich in § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB: Tritt infolge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit des Verletzten eine Vermehrung seiner Bedürfnisse ein, so ist dem Verletzten durch Entrichtung einer Geldrente Schadensersatz zu leisten.

2. Umfang

 

Rz. 241

Der Begriff der "vermehrten Bedürfnisse" umfasst daher alle unfallbedingten Mehraufwendungen, die den Zweck haben, diejenigen Nachteile auszugleichen, die dem Verletzten in Folge dauernder Beeinträchtigungen seines körperlichen Wohlbefindens entstehen. Es muss sich demnach grundsätzlich um Mehraufwendungen handeln, die dauernd und regelmäßig erforderlich sind und die zudem nicht – wie etwa Heilungskosten – der Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Zudem umfasst der Begriff "vermehrte Bedürfnisse" in § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB nur solche Mehraufwendungen, die dem Geschädigten im Vergleich zu einem gesunden Menschen erwachsen und sich daher von den allgemeinen Lebenshaltungskosten unterscheiden, welche in gleicher Weise vor und nach dem Unfall anfallen (BGH NJW-RR 2004, 671). So kommen als ersatzpflichtige Kosten z.B. erhöhte Ausgaben für Verpflegung und Ernährung, Aufwendungen für Kuren und orthopädische Hilfsmittel sowie Pflegekosten und Kosten für Haushaltshilfen in Betracht (Drees, VersR 1988, 784, m.w.N.).

 

Rz. 242

Neben diesen wiederkehrenden Aufwendungen können aber auch einmalige Kosten zu ersetzen sein. So kann in besonders gelagerten Fällen ein Schaden nach §§ 249, 251 BGB auszugleichen sein, wenn durch die einmalige Anschaffung eines Hilfsmittels für den Verletzten dessen erhöhtes Bedürfnis für die Zukunft in ausreichendem Maße befriedigt werden kann. Diese Voraussetzung kann etwa bei der Anschaffung eines Rollstuhls für einen Gehunfähigen oder eine elektronische Schreibhilfe für einen Querschnittsgelähmten erfüllt sein. Im Einzelfall können auch die Aufwendungen für den Bau oder Ausbau eines der Behinderung angepassten Eigenheims oder die Kosten für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs ersatzpflichtig sein, nämlich dann, wenn der Verletzte dadurch überhaupt erst in die Lage versetzt wird, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen (BGH NJW-RR 2004, 671).

 

Rz. 243

Die typischen Aufwendungen, die in § 843 Abs. 1 Alternative 2 BGB unter dem Begriff "Vermehrung der Bedürfnisse" zusammengefasst sind, können nicht umfassend und abschließend aufgezählt werden. Ob derartige Aufwendungen im Einzelfall vom Schädiger zu ersetzen sind, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die gemäß § 287 ZPO der richterlichen Würdigung unterliegt (BGH NJW-RR 2004, 671).

 

Rz. 244

Daraus ergibt sich, dass die normalen Lebenshaltungskosten, die unabhängig vom Unfall sowieso anfallen, nicht zu den vermehrten Bedürfnissen gezählt werden. Diese sind "Sowieso-Kosten". Verpflegungskosten im Krankenhaus sind nur im Einzelfall anspruchsmindernd zu bewerten. Der tägliche Zahlungsbetrag von 10,00 EUR wird vom Versicherer mit Hinweis auf volle Kongruenz nicht erstattet. Das muss nicht immer richtig sein, da aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalles eine anteilige Anrechnung geboten sein kann.

 

Rz. 245

Zunächst hat der Verletzte einen Anspruch auf Wiederherstellung seiner körperlichen Integrität, so als wäre der Unfall nicht geschehen (§ 249 Abs. 1 BGB – "Naturalrestitution"). Dies ist bei Personenschäden vielfach nur eingeschränkt möglich un...

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