Cordula Schah-Sedi, Michel Schah-Sedi
1. Allgemeines
Rz. 262
Wann ist ein Unfallgeschädigter auf die Pflege anderer angewiesen? Unter welchen Bedingungen ist er also pflegebedürftig? Diese Frage ist weder rein praktischer Natur noch eine lediglich medizinische Frage. Vielmehr geht es darum, zusammen mit dem Geschädigten zu klären, wann und in welchem Umfang dieser alltägliche Verrichtungen des Lebens nicht mehr vollständig ohne fremde Hilfe bewältigen kann.
Rz. 263
Die Pflegebedürftigkeit ist derzeit durch das 11. Buch im Sozialgesetzbuch (SGB XI) definiert. Die §§ 14, 15 SGB XI enthalten genaue Bestimmungen, wann ein Mensch per Gesetz als pflegebedürftig gilt und wie diese Einstufung gemessen und beurteilt wird. Derzeit definiert das Pflegeversicherungsgesetz die Personen als pflegebedürftig, die "gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere bestehen" (§ 14 SGB XI).
Allerdings ist dieser gesetzliche Begriff der Pflegebedürftigkeit nicht gleichzusetzen mit einer allgemeinen Pflegebedürftigkeit. Geschädigte können also durchaus der Pflege anderer bedürfen. Aufgrund verletzungsbedingter spezieller Anforderungen oder einer geringeren Intensität der Pflegebedürftigkeit muss das aber nicht auch zu einer Anerkennung gesetzlicher Pflegeleistungen führen. Pflege kann durchaus auch nur kurzfristig benötigt werden. Bei einer Pflegebedürftigkeit von unter sechs Monaten wird die Pflege allerdings nicht von der Pflegekasse finanziert.
Genau an dieser Schnittstelle zwischen der allgemeinen und der gesetzlichen Pflegebedürftigkeit muss die gründliche und sorgfältige Arbeit des Geschädigtenvertreters ansetzen. Eine unfallbedingte Pflegebedürftigkeit kann bestehen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen der gesetzlichen Pflegebedürftigkeit noch nicht erfüllt sind. Des Weiteren deckt die gesetzliche Pflegeversicherung, sollte sie eingreifen, lediglich einen gewissen Pflegegrundbedarf ab, so dass oftmals eine über die gesetzliche Pflege hinausgehende unfallbedingte Pflegebedürftigkeit des Geschädigten bestehen kann. Dieser Mehrbedarf ist selbstverständlich sorgfältig zu ermitteln und im Rahmen der Regulierung beim Schädiger geltend zu machen.
2. Pflegekosten
Rz. 264
Pflegebedürftige Geschädigte können entweder in der Familie von Familienangehörigen oder von Freunden zu Hause betreut werden, oder aber von professionellen Pflegekräften in der eigenen Häuslichkeit versorgt werden. Schließlich besteht auch die Möglichkeit einer Unterbringung und Betreuung im Pflegeheim.
Rz. 265
Die Betreuung eines pflegebedürftigen Geschädigten in seiner Häuslichkeit durch Familienangehörige oder Freunde darf den Schädiger jedoch dann nicht entlasten, wenn diese Tätigkeiten unentgeltlich erbracht werden (BGHZ 140, 39; OLG Hamm DAR 1994, 496). Ersatzpflichtig ist der volle erforderliche Aufwand (LG Würzburg DAR 2002, 74): So kommt es bei der unentgeltlich übernommenen häuslichen Pflege durch Familienangehörige oder Freunde auf die Höhe des Aufwandes an, der erforderlich ist, den Verletzten in der von ihm gewählten und zumutbaren Lebensgestaltung pflegerisch zu versorgen. Zu Bereitschaftszeiten vgl. beispielhaft OLG Zweibrücken NJW-RR 2008, 620.
Die Feststellungen der Pflegekasse zur Bemessung des anzusetzenden Zeitbedarfs können allenfalls eine Mindestschätzung darstellen. Eine darüber hinausgehende Mehrforderung ist auf Grundlage substantiellen Vortrages möglich. Entsprechend des OLG Koblenz VersR 2002, 244 sind jedoch solche Pflegekosten nicht mehr erstattungsfähig, die in keinem vertretbaren Verhältnis zur Qualität der Versorgung stehen. Vergleichend ist mindestens der Nettolohn einer entgeltlich tätigen Pflegekraft heranzuziehen (OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 90). Bei der Übernahme der Pflege durch ein Elternteil ist auch der Aufwand erstattungsfähig, der für den Aufbau der Altersrente des pflegenden Elternteils notwendig ist (OLG Düsseldorf NJOZ 2009, 3422). Für die Bemessung des Stundensatzes sollten Vergütungsgruppen und Stundensätze für Pflegefachkräfte herangezogen werden. Diese können aufgrund des Maßes der Pflegebedürftigkeit und der Fachkenntnisse variieren (Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, S. 146).
Rz. 266
Richtigerweise sollte man sich bei der Feststellung des erforderlichen Aufwands und der Ausgestaltung von Arbeitsverträgen für Mitarbeiter in Arbeitgebermodellen bundesweit am TVöD (besonderer Teil Pflege- und Betreuungseinrichtungen) orientieren. Zwar ist es zutreffend, dass sehr viele Angestellte im Bereich von Pflege und Betreuung bei Arbeitgebern beschäftigt sind, die keiner Tarifbindung unterliegen (z.B. private ambulante Pflegedienste). Die E...