I. Anspruch auf Beistand des Verteidigers
Rz. 4
Grundsätzlich gebietet die Fürsorgepflicht (OLG Koblenz zfs 2010, 289) - dies gilt auch im Bußgeldverfahren (OLG Köln DAR 2005, 576; OLG Koblenz zfs 2005, 624; OLG Karlsruhe NZV 2006, 217; OLG Bamberg zfs 2006, 656; OLG Hamm zfs 2009, 470; OLG Karlsruhe NZV 2011, 95; OLG Oldenburg NZV 2011, 96; OLG Dresden zfs 2013, 520) -, eine Hauptverhandlung in Anwesenheit des gewählten Verteidigers zu ermöglichen, es sei denn, dem Betroffenen wäre es in Anbetracht der geringen Bedeutung der Sache oder ihrer tatsächlichen oder rechtlichen Einfachheit (ausnahmsweise) zuzumuten, sich selbst zu verteidigen (OLG Zweibrücken zfs 1996, 115).
Dem Verteidigungsinteresse des Betroffenen gebührt nämlich grundsätzlich Vorrang vor der gerichtlichen Terminshoheit (LG Neubrandenburg NZV 2012, 47); weder dienstliche Gründe noch der Hinweis auf die angespannte Geschäftslage rechtfertigen eine Ablehnung des Antrages.
Achtung: Substantiierter Vortrag
Die Verhinderung des Verteidigers, namentlich die wegen einer Terminskollision, muss mit substantiiertem Vortrag belegt werden (OLG Schleswig zfs 2015, 172).
Wann dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann, in Abwesenheit seines Verteidigers zu verhandeln, ist zwar nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden, in der Regel braucht er, wenn die Sachlage schwierig ist, jedoch nur in Anwesenheit seines Verteidigers zu verhandeln, z.B. nach einem abgelehnten Befangenheitsantrag (OLG Koblenz zfs 2005, 624), wenn es auf die Identifizierung ankommt (LG Hagen zfs 1999, 218) oder es sich um schwierige Sachverständigenfragen etc. handelt oder die Sache z.B. wegen eines Fahrverbotes von Bedeutung ist (OLG Zweibrücken zfs 1996, 114). Diese Grundsätze gelten im Prinzip auch für einfache und (angeblich) klar gelagerte Bußgeldsachen, so z.B. wenn es sich zwar nicht um eine schwerwiegende Ordnungswidrigkeit handelt, der Betroffene aber seine Täterschaft bestreitet und es in der Hauptverhandlung auf seine Identifizierung ankommt (OLG Köln StV 1984, 147; LG Hagen zfs 1999, 218).
Rz. 5
Praxistipp: Hinweis auf andere Anwälte der Kanzlei
Häufig wird ein Verlegungsantrag mit dem Hinweis auf die weiteren Anwälte der Kanzlei abgelehnt. Das ist jedoch unzulässig, denn es kommt alleine auf den gewählten Verteidiger an (OLG Koblenz zfs 2010, 289).
Rz. 6
In Strafsachen garantiert Art. 6 Abs. 3c MRK dem Beschuldigten den Beistand seines gewählten Verteidigers, weshalb ein begründeter Terminsverlegungsantrag des Verteidigers nicht zurückgewiesen werden darf (BGH NStZ 1999, 527; BVerfG NJW 1984, 862; LG Heilbronn zfs 2007, 473).
II. Krankheit, Arzt- oder Fortbildungstermin
Rz. 7
Aus den zuvor genannten Gründen ist deshalb insbesondere einem erstmals und rechtzeitig gestellten, mit Arztterminen des Verteidigers (BayObLG zfs 1994, 387) oder seiner Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung (OLG Celle zfs 1997, 152) begründeten Terminsverlegungsantrag stattzugeben (OLG Bamberg zfs 2006, 656; OLG Hamm zfs 2010, 649; OLG Karlsruhe NZV 2011, 95; OLG Oldenburg NZV 2011, 96).
Ist der Verteidiger plötzlich erkrankt - zur Glaubhaftmachung genügt dessen anwaltschaftliche Versicherung (OLG Koblenz NZV 2009, 569) - darf nicht verhandelt werden.
III. Ladung des Verteidigers
Rz. 8
War die Verteidigung angezeigt, muss der Verteidiger - sofern der Betroffene mehrere nicht der gleichen Kanzlei angehörende Verteidiger hat, alle Verteidiger - geladen werden (§ 218 S. 1 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG). Ist der Verteidiger nicht geladen worden, begründet dies die Rechtsbeschwerde (OLG Koblenz NZV 2009, 469; OLG Zweibrücken NZV 2011, 97), es sei denn der Verteidiger hätte auf andere Weise zuverlässig von dem Termin Kenntnis erlangt (BGH NStZ 2009, 48).