A. Verhinderung des Betroffenen
I. Urlaubszeit
Rz. 1
Terminiert das Gericht in die übliche Urlaubzeit, muss es mit urlaubsbedingter Verhinderung des Betroffenen rechnen. Vor allem dann, wenn der Betroffene bereits vor Erhalt der Ladung eine Urlaubsreise gebucht hatte, darf ein entsprechend begründeter Verlegungsantrag nicht abgelehnt werden (BVerfG NJW 1969, 1531; OLG Köln DAR 2005, 576; OLG Hamm zfs 2005, 515; LG Berlin NZV 2007, 253).
II. Berufliche Verpflichtungen
Rz. 2
Bei der Kollision zwischen der Pflicht zum persönlichen Erscheinen im Hauptverhandlungstermin mit anderen - insbesondere beruflichen - Pflichten ist unter Berücksichtigung der Grundsätze einer sachgerechten Güterabwägung im Einzelfall zu prüfen, welcher Verpflichtung der Vorrang zu gewähren ist. Das BayObLG (DAR 2001, 132; DAR 2003, 567) hat z.B. im Fall einer Probeverpflichtung für eine Konzerttournee eines Konzertmusikers der beruflichen Verpflichtung Vorrang eingeräumt. Ähnlich sehen dies auch das OLG Celle (zfs 1998, 115) und das OLG Hamm (zfs 2004, 383), wenn es auch eine detaillierte Begründung für eine nicht anderweitig auszuräumende Verhinderung verlangt (OLG Hamm NZV 2006, 165), während das OLG Köln (DAR 2002, 180) die Pflicht zum Erscheinen vor Gericht beruflichen Interessen des Betroffenen grundsätzlich vorgehen lassen will.
III. Krankheit
Rz. 3
Bei Vorlage eines die Verhinderung begründenden ärztlichen Attestes besteht ein Anspruch auf Terminsverlegung, selbst wenn die Art der Erkrankung nicht oder nur Arbeits- und/oder Reiseunfähigkeit angegeben ist (KG NZV 2018, 434; OLG Bamberg DAR 2019, 100).
Unter Umständen genügt aber auch eine entsprechende Erklärung des Verteidigers selbst dann, wenn der Verteidiger keine Erklärungsvollmacht hat (OLG Hamm DAR 1997, 361), die Vorlage eines amtsärztlichen Attestes kann jedenfalls nicht verlangt werden (OLG Naumburg zfs 2000, 514; Thüringer OLG zfs 2007, 532). Allerdings genügt dann nicht ein pauschaler Hinweis auf die Erkrankung, vielmehr muss der Verteidiger die Art der Erkrankung mitteilen (OLG Hamm DAR 2008, 398; OLG Bamberg NZV 2009, 303; KG DAR 2011, 146). Die Verteidigung muss allerdings im Blick haben, dass die Vorlage eines Attestes nach der Rechtsprechung eine konkludente Entbindung von der Schweigepflicht darstellt, so dass der Richter den Arzt (ggf. auch telefonisch) befragen kann (Schleswig-Holsteinisches OLG zfs 2006, 53).
B. Verhinderung des Verteidigers
I. Anspruch auf Beistand des Verteidigers
Rz. 4
Grundsätzlich gebietet die Fürsorgepflicht (OLG Koblenz zfs 2010, 289) - dies gilt auch im Bußgeldverfahren (OLG Köln DAR 2005, 576; OLG Koblenz zfs 2005, 624; OLG Karlsruhe NZV 2006, 217; OLG Bamberg zfs 2006, 656; OLG Hamm zfs 2009, 470; OLG Karlsruhe NZV 2011, 95; OLG Oldenburg NZV 2011, 96; OLG Dresden zfs 2013, 520) -, eine Hauptverhandlung in Anwesenheit des gewählten Verteidigers zu ermöglichen, es sei denn, dem Betroffenen wäre es in Anbetracht der geringen Bedeutung der Sache oder ihrer tatsächlichen oder rechtlichen Einfachheit (ausnahmsweise) zuzumuten, sich selbst zu verteidigen (OLG Zweibrücken zfs 1996, 115).
Dem Verteidigungsinteresse des Betroffenen gebührt nämlich grundsätzlich Vorrang vor der gerichtlichen Terminshoheit (LG Neubrandenburg NZV 2012, 47); weder dienstliche Gründe noch der Hinweis auf die angespannte Geschäftslage rechtfertigen eine Ablehnung des Antrages.
Achtung: Substantiierter Vortrag
Die Verhinderung des Verteidigers, namentlich die wegen einer Terminskollision, muss mit substantiiertem Vortrag belegt werden (OLG Schleswig zfs 2015, 172).
Wann dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann, in Abwesenheit seines Verteidigers zu verhandeln, ist zwar nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden, in der Regel braucht er, wenn die Sachlage schwierig ist, jedoch nur in Anwesenheit seines Verteidigers zu verhandeln, z.B. nach einem abgelehnten Befangenheitsantrag (OLG Koblenz zfs 2005, 624), wenn es auf die Identifizierung ankommt (LG Hagen zfs 1999, 218) oder es sich um schwierige Sachverständigenfragen etc. handelt oder die Sache z.B. wegen eines Fahrverbotes von Bedeutung ist (OLG Zweibrücken zfs 1996, 114). Diese Grundsätze gelten im Prinzip auch für einfache und (angeblich) klar gelagerte Bußgeldsachen, so z.B. wenn es sich zwar nicht um eine schwerwiegende Ordnungswidrigkeit handelt, der Betroffene aber seine Täterschaft bestreitet und es in der Hauptverhandlung auf seine Identifizierung ankommt (OLG Köln StV 1984, 147; LG Hagen zfs 1999, 218).
Rz. 5
Praxistipp: Hinweis auf andere Anwälte der Kanzlei
Häufig wird ein Verlegungsantrag mit dem Hinweis auf die weiteren Anwälte der Kanzlei abgelehnt. Das ist jedoch unzulässig, denn es kommt alleine auf den gewählten Verteidiger an (OLG Koblenz zfs 2010, 289).
Rz. 6
In Strafsachen garantiert Art. 6 Abs. 3c MRK dem Beschuldigten den Beistand seines gewählten Verteidigers, weshalb ein begründeter Terminsverlegungsantrag des Verteidigers nicht zurückgewiesen werden darf (BGH NStZ 1999, 527; BVerfG NJW 1984, 862; LG Heilbronn zfs 2007, 473).
II. Krankheit, Arzt- oder Fortbildungstermin
Rz. 7
Aus den zuvor genannten Gründen ist deshalb insbesondere einem erstmals und rechtzeitig gestellten, mit Arzttermine...