Dr. Alexandra Jorzig, Ilse Dautert
Rz. 29
Ist ein niedergelassener Arzt aufgrund eigener, begrenzter persönlicher Fähigkeiten und/oder unzureichender Ausstattung nicht in der Lage, eine standardgemäße Behandlung des Patienten zu gewährleisten, ist er verpflichtet, den Patienten entweder zu einem anderen Facharzt oder aber in das Krankenhaus bzw. ggf. in eine Institutsambulanz zu überweisen. Kommt es im Bereich dieser sog. "horizontalen" Arbeitsteilung zu Qualitätsmängeln, haften der überweisende und der übernehmende Arzt möglicherweise als Gesamtschuldner.
Jeder Arzt hat den für seinen Fachbereich geltenden Standard einzuhalten und darf dabei grundsätzlich davon ausgehen, dass sein Kollege aus dem anderen Fachbereich seine Behandlungsaufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfüllt. So darf der Hausarzt der Einschätzung eines Facharztes grundsätzlich vertrauen. Der überweisende Arzt ist dabei nicht verpflichtet, die Behandlungsmaßnahmen des übernehmenden Kollegen zu kontrollieren bzw. zu überprüfen, es sei denn, es drängen sich ihm deutliche Anzeichen dafür auf, dass die Behandlung nicht sachgerecht ist. Der übernehmende Arzt darf sich darauf verlassen, dass der überweisende Arzt den Patienten ordnungsgemäß voruntersucht und auch behandelt hat. Etwaigen Bedenken hinsichtlich der Richtigkeit der ihm übermittelten Befunde und auch der Diagnose muss er im Zweifel in jedem Fall nachgehen. Erfolgt also die Überweisung zur Weiterbehandlung, z.B. an einen anderen Facharzt, ist die Aufgabe des überweisenden Arztes mit Übernahme des Patienten durch den weiterbehandelnden Arzt beendet. Der überweisende Arzt muss indes den Nachbehandler umfassend informieren. Ggf. ist der Arzt auch zur umfassenden therapeutischen Aufklärung des Patienten verpflichtet. Wenn der überweisende Arzt einen Eingriff für indiziert hält und den Patienten ins Krankenhaus überweist, enthebt dies den dort weiterbehandelnden Arzt nicht von der Pflicht zur umfassenden Risikoaufklärung. Wird ein anderer Facharzt nur konsiliarisch hinzugezogen, bleibt die Behandlungsverpflichtung bei dem Erstbehandler, der auch weiterhin zur Koordination der Behandlung insgesamt verpflichtet bleibt. Selbstverständlich ist er zur rechtzeitigen Einschaltung des Konsiliararztes verpflichtet. Im weiteren Verlauf darf sich jedoch der überweisende Arzt auf die Richtigkeit der von dem hinzugezogenen Arzt erhobenen Befunde verlassen. Dieser Vertrauensgrundsatz gilt aber auch hier nur so lange, wie für den überweisenden Arzt keine offensichtlichen Qualitätsmängel oder Fehlleistungen erkennbar werden. Der hinzugezogene Arzt ist weder Verrichtungsgehilfe (§ 831 Abs. 1 BGB) noch Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB). In der Regel ist in der Abgrenzung der beiden Verantwortungsbereiche auf das Liquidationsrecht abzustellen.