Dr. Alexandra Jorzig, Ilse Dautert
a) Allgemeines
Rz. 13
Die Haftung des Arztes setzt das Vorliegen eines Behandlungsfehlers voraus. Der Behandlungsfehler ist in § 630a Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB geregelt. Der Arzt schuldet dem Patienten auf der Grundlage des Behandlungsvertrags sowohl vertraglich als auch deliktisch in der Regel die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der durchgeführten Behandlung. Der Arzt muss diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt seines eigenen Fachbereichs zum Behandlungszeitpunkt vorausgesetzt und erwartet werden können. Das, was üblich ist, ist nicht zwingend medizinischer Standard.
Fehlende persönliche Kenntnisse und Fertigkeiten eines Assistenzarztes lassen die Haftung nicht entfallen. Gefordert ist der sog. gute Facharztstandard. Maßgebend ist derjenige, der in Deutschland gilt. Fehlt es dem Behandler in der konkreten Situation an entsprechenden Kenntnissen und Fertigkeiten, so hat er fachärztlichen Rat hinzuzuziehen; unterlässt der Assistenzarzt eine solche Hinzuziehung, trifft ihn der Vorwurf des sog. Übernahmeverschuldens. Wenn die eingeleiteten Maßnahmen jedoch ausreichend sind, begründet das Nichthinzuziehen eines Facharztes keinen Behandlungsfehler.
Rz. 14
Der jeweilige medizinische Standard darf vom Gericht grundsätzlich nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens bestimmt werden. Dies gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob ein sog. grober Behandlungsfehler mit der Folge der Beweislastumkehr für den ansonsten vollbeweispflichtigen Patienten vorliegt. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr bei grob fehlerhafter Behandlung dienen dem Ausgleich dafür, dass die Schadensursachen durch den Behandlungsfehler verschleiert und verschoben werden. Spezialisten müssen sich haftungsrechtlich an ihren besonderen, den allgemeinen Facharztstandard überschreitenden Kenntnissen messen lassen.
Rz. 15
Der Misserfolg einer Behandlung allein ist kein Beweis für einen Verstoß gegen ärztliche Sorgfaltspflichten. Immer wieder hat die Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass sich die konkrete Behandlung des Patienten am "faktisch Machbaren" auszurichten hat. Das OLG Köln hat dies entschieden für den Fall eines nach einer Brustkrebsoperation eingetretenen Strahlenschadens: Zwar verfügte die beklagte Universitätsklinik über ein Gerät zur computergestützten Bestrahlung. Mangels zeitlicher Kapazitäten wurde die Klägerin jedoch konventionell, nach einem guten Qualitätsstandard, bestrahlt. Das OLG Köln entschied, dass der eingetretene Strahlenschaden entschädigungslos hingenommen werden müsse. Ein Arzt/Krankenhaus kann sich bei Nichtanwendung eines teuren Medikaments nicht auf die Unwirtschaftlichkeit der Vorratshaltung berufen, wenn es im konkreten Fall rechtzeitig hätte beschafft werden können. Wirtschaftliche Aspekte bei einer Behandlung dürfen niemals zu einer Gefährdung des Patienten führen.
Rz. 16
Die Rechtsprechung zum apparativen Sollstandard vertritt überwiegend die Auffassung, dass die Behandlerseite nicht das jeweils neueste Therapiekonzept und auch nicht eine immer dem neuesten Stand entsprechende apparative Ausstattung schuldet. Der Sollstandard ist nicht mehr erfüllt, wenn es eine neue Apparatetechnik gibt, die für den Patienten weitaus risikoärmer, weniger belastend und/oder mit erheblich besseren Heilungschancen verbunden ist, in der medizinischen Wissenschaft im Wesentlichen unumstritten ist und in der Praxis mittlerweile auch, und nicht nur in einzelnen, hochspezialisierten Zentren tatsächlich Anwendung findet. Ist aber ein älteres Operationsgerät gleichwertig, dann bestehen gegen den Einsatz dieses älteren Geräts keine Bedenken. Stehen einem Arzt bessere und modernere technische Apparate zur Verfügung, die grundsätzlich noch nicht zum Ausstattungsstandard gehören, müssen sie immer dann eingesetzt werden, wenn sie für die konkrete Behandlung tatsächlich verfügbar sind.
Rz. 17
Die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung eines Medikaments für einen bestimmten Anwendungsbereich bei ärztlicher Verordnung einer medikamentösen Therapie gemäß den Vorschriften der §§ 21 ff. und 48 ff. AMG macht die Verordnung des Arztes nicht von vornherein fehlerhaft. Aufsehen erregt hat in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des OLG Köln in einem Fall kindlicher Herpesenzephalitis. Obwohl das nicht für Kinder zugelassene Medikament seit langem in der kinderärztlichen Praxis als Medikament bei diesem Krankheitsbild eingesetzt wurde und vor allen Dingen auch gute Erfolge zeigte, hatte man es in diesem konkreten Fall nicht eingesetzt. Das OLG Köln hat diesen unterlassenen Medikamenteneinsatz für haftungsrechtlich relevant angesehen und der Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang stattgegeben.
Welcher Qualitätsstandard bei der ärztlichen Behandlung einzuhalten ist, ist eine von medizinischen Sa...