Dr. Alexandra Jorzig, Ilse Dautert
Rz. 83
Ob das selbstständige Beweisverfahren für arzthaftungsrechtliche Ansprüche geeignet ist, ist seit langem umstritten. Das selbstständige Beweisverfahren richtet sich nach den §§ 485 ff. ZPO. Gem. § 485 Abs. 1 ZPO findet eine vorsorgliche Tatsachenfeststellung durch eine Beweisaufnahme außerhalb des Urteilsverfahrens statt. Als Beweismittel gelten der Augenscheinsbeweis, der Zeugenbeweis sowie die Begutachtung durch einen Sachverständigen. Es ist im Arzthaftungsprozess unzweifelhaft zulässig, soweit der Antragsteller ein Rechtsschutzinteresse an der Beweissicherung hat und er eine Beweisgefährdung darlegt und glaubhaft macht. Vor Anhängigkeit eines Rechtsstreits kann ein selbstständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO erfolgen. Dies kann ausschließlich zwecks Begutachtung durch einen Sachverständigen durchgeführt werden. Andere Beweismittel, insbesondere die Inaugenscheinnahme, die Verwertung von Urkunden, Zeugen- oder Parteivernehmungen, werden in § 485 Abs. 2 ZPO nicht erwähnt, so dass deren Erhebung und Verwertung im Rahmen eines Verfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO unzulässig wäre. Fraglich ist somit, ob die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO auf den Arzthaftungsprozess Anwendung finden. Diese Frage war lange Zeit höchst umstritten. Wenn der Geschehensablauf streitig ist oder Unterlagen nicht zur Verfügung stehen, müssen die Anknüpfungstatsachen erst durch eine Beweisaufnahme ermittelt werden. Diese müssen dann dem Gutachter gem. § 404a Abs. 3 ZPO durch das Gericht zur Erstellung eines Gutachtens vorgegeben werden. Welche Anknüpfungstatsachen schließlich Grundlage für das Gutachten sein sollen, muss durch das Gericht unter Zuhilfenahme aller Indizien und Umstände entschieden werden. Dies nimmt allerdings den Hauptsacheprozess vorweg. Insofern muss also erst eine Ermittlung der Anknüpfungstatsachen erfolgen, bevor ein Sachverständiger sich zu Kausalitätsfragen äußern kann. Um diese Anknüpfungstatsachen vorzugeben, muss das Gericht zunächst den medizinischen Sachverhalt ermitteln. Dies macht es u.a. durch Einsichtnahme in die ärztliche Dokumentation. Dies ist allerdings kein zulässiges Beweismittel i.S.d. § 485 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ZPO. Auch die anderen Instrumentarien der Parteivernehmung etc., die für den Arzthaftungsprozess von außerordentlicher Wichtigkeit sind, sind im selbstständigen Beweisverfahren nicht zulässig. All dies spricht schon gegen eine Zulässigkeit.
Im Jahre 2003 hat sich der BGH dieser Problematik angenommen. Durch die Entscheidung des BGH hat sich an dem Vorgenannten nichts Grundsätzliches geändert. Zwar kann nach dieser Entscheidung ein rechtliches Interesse an der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens bei Arzthaftungsansprüchen nicht aus grundsätzlichen Erwägungen ohne Prüfung der Umstände des Einzelfalls verneint werden; ein Umkehrschluss dahingehend, dass nun bei Arzthaftungsansprüchen das selbstständige Beweisverfahren stets zuzulassen sei, ist jedoch nicht zulässig. So hat sich auch das LG Köln in dem abweisenden Beschluss vom 4.2.2004 geäußert. Es hat hierzu ausgeführt, dass nicht rechtliche Fragen des Verschuldens des Arztes und der Kausalität der Verletzung für den geltend gemachten Schaden Gegenstand einer Beweisanordnung nach § 485 Abs. 2 ZPO sein können. Diese Rechtsansicht wurde durch das OLG Köln bestätigt. Dennoch sehen viele Gerichte aufgrund des Beschlusses des BGH das selbstständige Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht als zulässig an, so dass der Streit, der bereits seit vielen Jahren bestand, auch durch den Beschluss des BGH nicht endgültig beigelegt ist. So hat das OLG des Landes Sachsen-Anhalt entschieden, dass im selbstständigen Beweisverfahren in Arzthaftungssachen an die im Rahmen von § 485 Abs. 2 ZPO zulässigen Fragen keine weitergehenden Substantiierungsanforderungen gestellt werden können als im Haftungsprozess selbst. Fragen nach der Ursache eines Schadens seien deshalb zulässig. Mit seinem Urteil von September 2013 hat der BGH nunmehr entschieden, dass die vorprozessuale Klärung des Gesundheitsschadens und seiner Gründe durchaus prozessökonomisch sein könne. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Frage, ob der Fehler von den behandelnden Ärzten schuldhaft begangen worden ist, aufgrund einer tatrichterlichen Bewertung zu beantworten ist. Die Beurteilung des ärztlichen Verschuldens sei wegen des im Zivilrecht maßgebenden objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs mit der Feststellung eines Behandlungsfehlers streng verbunden. Stelle sich eine Behandlungsentscheidung als Verstoß gegen den medizinischen Standard dar, falle dem behandelnden Arzt regelmäßig auch ein objektiver Sorgfaltsverstoß zur Last. Auch die Frage, ob aufgrund der vorausgehenden Fragen festgestellte etwaige Behandlungsfehler in einer Art und Weise gegen ärztliche Behandlungsregeln verstoßen haben und mit Fehlern verbunden waren, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen und ihrer Art nach einem Arzt schlechterdings nicht unte...