I. Typischer Sachverhalt

 

Rz. 1

Kassenpatient P kommt mit akuten Bauchschmerzen im rechten Unterbauch in die Notfallambulanz eines Krankenhauses der Grund- und Regelversorgung. Nach einer ersten klinischen Untersuchung durch den Assistenzarzt Dr. A und einer Blutuntersuchung wird die Indikation für eine Appendektomie (operative Blinddarmentfernung) gestellt und der Eingriff selbst sofort durchgeführt.

Am zweiten postoperativen Tag kommt es bei P zu akuten Bauchschmerzen mit deutlicher Abwehrspannung und Fieber. Fast elf Stunden später wird ein Revisionseingriff durchgeführt, bei der eine ausgeprägte Peritonitis (Bauchfellentzündung) festgestellt wird. P wird über 14 Tage mit einem Antibiotikum behandelt und nach insgesamt drei Wochen Krankenhausaufenthalt entlassen. P möchte wissen, ob und ggf. wem gegenüber er Schadensersatz, insbesondere Schmerzensgeld, geltend machen kann.

II. Rechtliche Grundlagen

1. Haftungsgrundlagen

 

Rz. 2

Die Arzthaftung ist im BGB nicht als einheitliche Berufshaftung ausgestaltet, sondern fußt auf einer vertraglichen und einer deliktischen Haftungsgrundlage.[1] Im Jahr 2013 wurde zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten das Patientenrechtegesetz in den §§ 630a ff. BGB kodifiziert. Zentrale Anspruchsgrundlagen sind § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 630a BGB (vertraglich) bzw. § 823 BGB (deliktisch), hinsichtlich immaterieller Schäden jeweils i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB.

Deliktische Ansprüche finden aber nach wie vor Anwendung, vor allem dann, wenn der Patient mit dem eigentlich behandelnden Arzt in keinen direkten vertraglichen Beziehungen steht, so z.B. in den Fällen, in denen ein Behandlungsvertrag nur mit dem Krankenhausträger oder dem Praxisinhaber abgeschlossen wurde, jedoch dem dort angestellten Arzt ein Behandlungsfehler unterläuft.

[1] Gehrlein, A Rn 1; Spickhoff, NJW 2002, 2351.

a) Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB

 

Rz. 3

Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB setzt ein bestehendes Schuldverhältnis voraus. Das ist im Arzthaftungsrecht regelmäßig der Behandlungsvertrag nach § 630a BGB, der zwischen Arzt und Patient geschlossen wird. Der Behandlungsvertrag war schon immer Dienstvertrag und kein Werkvertrag.[2] So sieht es auch das BGB vor, indem in § 630b BGB auf die Vorschriften des Dienstvertrags verwiesen wird. Ein Arztvertrag kann aber ausnahmsweise auch nur werkvertragliche Elemente enthalten. Dies wird zumeist dann der Fall sein, wenn rein technische Leistungen erbracht werden. Grundsätzlich ist das Werkvertragsrecht bei Leistungen der Medizin- oder Labortechnik anwendbar.[3]

Wird ein Patient stationär untergebracht, so kommen neben dem Dienstvertrag auch noch Elemente anderer Vertragstypen hinzu, u.a. Miet-, Beherbergungs-, Kauf- und Werkvertragsrecht.[4] Beim Krankenhausvertrag haben sich drei Formen der vertraglichen Gestaltung herausgebildet: Man unterscheidet

den totalen Krankenhausaufnahmevertrag,
den totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Zusatzvertrag sowie
den gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag.[5]

Trotz ihrer unterschiedlichen Leistungsinhalte unterliegen alle den Vorschriften des Dienstvertragsrechts, da der Behandlungsvertrag regelmäßig den rechtlichen oder wirtschaftlichen Schwerpunkt bildet.

Grundsätzlich ist der Arzt verpflichtet, die vertraglich geschuldete Behandlung bzw. den geschuldeten Eingriff fachgerecht durchzuführen.[6] Er muss diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Bereichs vorausgesetzt und erwartet werden.[7] Bei der Sorgfaltspflichtverletzung kommt es nicht darauf an, ob der Arzt eine Haupt- oder Nebenleistungspflicht verletzt.[8] Bei der Prüfung, ob der Arzt das gebotene Maß an Sorgfalt eingehalten hat, wird auf den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung abgestellt.[9] Der Arzt schuldet die berufsfachlich gebotene Sorgfaltspflicht, d.h. es wird nicht nur darauf abgestellt, wie sich ein gewissenhafter Arzt in der gegebenen Lage verhalten hätte, sondern es wird auch der in dem Zeitpunkt geltende medizinische Erkenntnisstand berücksichtigt.[10]

Neu ist seit der Schuldrechtsreform die Regelung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, durch die vermutet wird, dass der Schuldner bei Bestehen einer Pflichtverletzung diese auch zu vertreten hat. Der Arzt hätte somit bei einer Anwendbarkeit auf den Arzthaftungsprozess nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB von vornherein darzulegen und im Falle des Bestreitens zu beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht verschuldet hat.[11] Diese Regelung entspricht dem früheren § 282 BGB a.F. Das LG Bonn hat ausgeführt, dass die Anwendbarkeit der Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB im Arzthaftungsrecht nicht in Zweifel stehe.[12] Der Schuldner ist gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB bei festgestellter Pflichtverletzung beweisbelastet dafür, dass ihn kein Verschulden trifft. Gleichwohl ist kaum zu erwarten, dass der BGH im Arzthaftungsrecht von seiner bisherigen Rechtsprechung abrücken und eine Verschuldensvermutung für den Arztvertrag anerkennen wird. Der BGH hat bislang in Fortführung der Rechtsprechung des R...

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