Dr. Alexandra Jorzig, Ilse Dautert
Rz. 21
Aufgrund der Vielzahl der in der Praxis vorkommenden, unterschiedlichsten Behandlungsfehler ist die Zuordnung von Behandlungsfehlern zu einzelnen Fehlertypen schwierig; Rechtsprechung und Literatur sind insoweit nicht einheitlich. Die Zuordnung an sich zu bestimmten Behandlungsfehlertypen ist in der Praxis selten entscheidend. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen:
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Diagnosefehlern, |
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Therapiefehlern und |
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generalisierten Qualitätsmängeln (Organisationsmängel), wie z.B. Fehler im Bereich der Organisation mit Verletzung von Hygienevorschriften, Geräte- und Medikamentenbevorratung, Gerätewartung und medizinisches Management im Bereich der horizontalen und vertikalen Arbeitsteilung. |
aa) Diagnosefehler
Rz. 22
Ein Diagnosefehler liegt dann vor, wenn erhobene medizinische Befunde vom Arzt fehlinterpretiert werden. Eine Fehlinterpretation erhobener medizinischer Befunde als Behandlungsfehler wertet die Rechtsprechung zurückhaltend. Solange ein Irrtum in Form einer objektiv gesehen falschen Diagnose noch begründbar, noch nachvollziehbar ist, liegt danach kein vorwerfbarer Behandlungsfehler vor. Eine nicht mehr vertretbare Diagnose ist als "einfacher" Behandlungsfehler, eine unverständliche, schlechterdings nicht mehr nachvollziehbare Diagnose ist als "grober" Behandlungsfehler zu werten.
Weniger zurückhaltend ist die Rechtsprechung in den Fällen, in denen eine medizinisch gebotene Befunderhebung/Verlaufskontrolle unterlassen wird und aufgrund dessen medizinisch zwingend gebotene Therapiemaßnahmen nicht ergriffen werden konnten. Anknüpfungspunkt ist die Unterlassung einer gebotenen Befunderhebung: Die Befunderhebung muss medizinisch zweifelsfrei geboten gewesen sein, bei deren tatsächlicher Durchführung ein reaktionsbedürftiges Befundergebnis hinreichend wahrscheinlich vorgelegen hätte und ein Nichtreagieren auf diesem Befund schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar wäre. Wegen der erheblichen beweisrechtlichen Konsequenzen ist eine Differenzierung zwischen einem Diagnosefehler und einem Befunderhebungsfehler von erheblicher Bedeutung: Ein Diagnosefehler liegt vor, wenn aufgrund der falschen Interpretation von Befunden aus berufsfachlicher Sicht eines Facharztes gebotene therapeutische oder diagnostische Maßnahmen nicht ergriffen werden. Demgegenüber liegt ein Befunderhebungsfehler vor, wenn die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin hat, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat. Zwischen der unterlassenen, medizinischen Befunderhebung, der dadurch unterlassenen, d.h. nicht durchgeführten bzw. nicht aufgenommenen Therapiemaßnahme und dem späteren Gesundheitsschaden muss ein nicht gänzlich unwahrscheinlicher Kausalzusammenhang bestehen. Dabei reicht eine generelle Geeignetheit der schuldhaft unterlassenen Befunderhebung. Es darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass der Behandlungsfehler als solcher Ursache für den späteren Gesundheitsschaden ist.
bb) Therapiefehler
Rz. 23
Therapiefehler sind so vielfältig, wie es Behandlungen gibt. Dem Arzt obliegt dabei im Rahmen der Therapiefreiheit die Entscheidung zur Wahl der Therapie an sich. Hier gesteht ihm die Rechtsprechung ein weites Beurteilungsermessen zu. Anhand der vorgegebenen, konkreten Befunde des Einzelfalls kann und darf der Arzt ...