Dr. Alexandra Jorzig, Ilse Dautert
aa) Aufklärungspflichten/Informationspflichten
Rz. 38
Jede ärztliche, die Integrität des Menschen berührende Maßnahme stellt tatbestandlich eine Körperverletzung dar. Damit erfüllt auch die lege artis durchgeführte und gebotene ärztliche Heilbehandlung den Tatbestand der Körperverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB. Nach § 8 MBO-Ä bedarf der Arzt zur Behandlung der Einwilligung des Patienten. Ohne Einwilligung ist die Haftung des Arztes dem Grunde nach begründet. Der Arzt ist aus dem mit dem Patienten geschlossenen Behandlungsvertrag zur Aufklärung verpflichtet, damit die dann erteilte Einwilligung (§ 630d BGB) wirksam sein kann.
Rz. 39
Nach § 630e Abs. 1 S. 1 BGB ist der Patient über Art, Umfang, Durchführung, Risiken, Folgen, Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten der Maßnahmen aufzuklären. Der Patient muss also "im Großen und Ganzen" wissen, worauf er sich einlässt (sog. informed consent). Der Patient muss aber auch darauf hingewiesen werden, welche Konsequenzen es haben könnte, wenn er sich gegen die ärztlicherseits vorgeschlagene Behandlung entscheidet. Übliche und typische Schadensfolgen müssen dann nicht genannt werden, wenn sie nur ganz selten auftreten, wenn insbesondere anzunehmen ist, dass sie für den Entschluss des Patienten zur Behandlung und seine zukünftige Lebensführung nicht ernsthaft ins Gewicht fallen. Nicht aufgeklärt werden muss über Risiken, die außergewöhnlich und nicht vorhersehbar sind, sowie über allgemeine Operationsrisiken, die jedem operativen Eingriff anhaften können. Grundsätzlich muss gleichwohl auch über "seltene" Risiken aufgeklärt werden. Für die ärztliche Hinweispflicht auf ein bestimmtes Risiko ist dabei nicht der statistische Grad der Risikodichte entscheidend; maßgebend ist vielmehr, ob das Risiko sich im Fall seiner Verwirklichung für die Lebensführung des Patienten als schwer belastend darstellt und trotz seiner Seltenheit für den Eingriff spezifisch und für den Laien überraschend ist. Auch über ein bestehendes Misserfolgsrisiko ist nicht unter Angabe konkreter Prozentzahlen aufzuklären. Es reicht grundsätzlich aus, wenn dem Patienten mitgeteilt wird, dass die Operation trotz aller ärztlichen Kunst fehlschlagen kann und sich die Leiden, Ausfälle und Beschwerden nicht bessern oder sogar verschlimmern können. Es ist dann Sache des Patienten, die statistische Wahrscheinlichkeit eines negativen Verlaufs weiter zu hinterfragen. Besteht ein individuell gesteigertes Risiko des Patienten, ist er auch darüber aufzuklären. Die Rechtsprechung kennt keinen "groben" Aufklärungsfehler; insoweit kommen dem Patienten auch bei eklatanten Aufklärungsmängeln keine Beweiserleichterungen zugute. Eine Haftung aus dem Gesichtspunkt der fehlerhaften Aufklärung heraus kann ganz entfallen, wenn nämlich feststeht, dass der Patient von dem maßgeblichen Risiko des Eingriffs bereits anderweitig gewusst hat. Operationserweiterungen aufgrund akuter vitaler Indikation dürfen unter dem Gesichtspunkt mutmaßlicher Einwilligung des Patienten durchgeführt werden. Ohne entsprechende vitale Indikation ist eine Operationserweiterung nur dann erlaubt, wenn der Abbruch oder die Wiederholung der Operation den Patienten mehr belasten oder gefährden würde als die sofortige Operationserweiterung. In allen anderen Fällen ist zwingend von der Operationserweiterung abzusehen. Je weniger dringlich oder geboten ein Eingriff ist, desto weitergehender ist die Pflicht zur Aufklärung.
Keine Aufklärungspflicht besteht über nicht bekannte Risiken zum Zeitpunkt der Behandlung.
Rz. 40
§ 630c BGB normiert die sog. Informationspflichten, überschneidet sich von daher mit dem Regelungsinhalt des § 630e BGB (siehe auch Rdn 42, 43).
Rz. 41
Die Aufklärung des Patienten hat auch über Behandlungsalternativen zu erfolgen, also Behandlungsmethoden, die gleichermaßen indiziert, möglicherweise aber mit anderen Risiken verbunden sind. Der Patient hat zu beweisen, dass eine andere Behandlungsmethode mit anderen, für ihn geringeren Risiken verbunden gewesen wäre. Die Frage der erfolgten Aufklärung über diese Behandlungsalternativen trägt hierbei die Behandlerseite, § 630h Abs. 2 S. 1 BGB.
Rz. 42
Differenziert wird also zwischen der Selbstbestimmungsaufklärung (geregelt in § 630e Abs. 1 S. 1 BGB) und der therapeutischen Aufklärung (= Sicherungsaufklärung, geregelt in § 630c Abs. 2 BGB unter dem Begriff "Informationspflichten"):
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Die Selbstbestimmungsaufklärung betrifft Art, Umfang, Durchführung, Risiken, Folgen, Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten der Maßnahmen. Nach § 630e Abs. 1 S. 3 BGB hat schließlich noch die Aufklärung des Patienten über sog. echte Behandlungsalternativen zu erfolgen, also Behandlungsmethoden, die gleichermaßen indiziert sind, möglicherweise aber mit anderen Risiken verbunden sind. |
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Die therapeutische Aufklärung (Sicherungsaufklärung)/Informationspflicht umfasst die Erläuterung sämtlicher für die Behandlung wesentlichen Umstände, in... |