Dr. Alexandra Jorzig, Ilse Dautert
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 86
Die Regulierungsverhandlungen sind gescheitert, Klage ist nunmehr geboten (siehe auch Rdn 1).
2. Rechtliche Grundlagen
a) Amtsermittlungsgrundsatz, Streitgegenstand und Rechtskraft
Rz. 87
Seit jeher ist es so, dass zwischen den Parteien eines Arzthaftungsprozesses ein Ungleichgewicht herrscht. Der klagende Patient steht dem zugrunde liegenden medizinischen Sachverhalt als Laie gegenüber und sieht sich somit nicht unerheblichen Problemen bereits in der Darstellung des Sachverhalts ausgesetzt. Dieser Situation hat die Rechtsprechung bereits vor langer Zeit Rechnung getragen. BVerfG und BGH vertreten in ständiger Rechtsprechung zur Beweislage im Arthaftungsprozess die Auffassung, dass an die Darlegungen des Patienten zu medizinischen Fragestellungen nur maßvolle Anforderungen zu stellen und Lücken im Vortrag des Patienten von Amts wegen zu ermitteln sind.
Die geringeren Substantiierungspflichten haben Auswirkungen auf den Streitgegenstand im Arzthaftungsprozess und somit auf die Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO. Der Streitgegenstand ist im Zivilprozess u.a. maßgeblich für den Umfang der materiellen Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO. Sofern über einen Streitgegenstand bereits rechtskräftig entschieden worden ist, steht der Erhebung einer erneuten Klage betreffend denselben Streitgegenstand die materielle Rechtskraft entgegen. Bei Identität der Streitgegenstände ist die materielle Rechtskraft negative Prozessvoraussetzung im nachfolgenden Prozess, d.h. sie verbietet nicht nur eine vom ersten Urteil abweichende Entscheidung, sie macht die Klage bereits unzulässig.
Nach der bisherigen Rechtsprechung ist der gesamte Behandlungszeitraum in Rechtskraft erwachsen, gleichgültig, ob einzelne Aspekte der Behandlung gerügt wurden oder nicht. Der Streitgegenstand konnte also nicht beschränkt werden. Nach jüngerer Rechtsprechung wurde erstmalig in der Berufungsinstanz ein anderes ärztliches Vorgehen als Behandlungsfehler gerügt als in der ersten Instanz. Dieser Vortrag soll als präkludiert gelten und nicht der erneuten Überprüfung durch einen Sachverständigen gestellt werden. Dies hätte zur Konsequenz, dass nicht der gesamte Behandlungszeitraum in die Überprüfung des Gerichts gestellt würde. Ob sich aus dieser Entscheidung des BGH etwas anderes für den Streitgegenstand respektive die Rechtskraft ergeben wird, ist ungewiss, so dass zunächst davon auszugehen ist, dass der gesamte Behandlungszeitraum der Überprüfung durch den Sachverständigen unterzogen wird und somit dieser auch gänzlich in Rechtskraft erwächst.
b) Klagemodalitäten
aa) Passivlegitimation
Rz. 88
Für den Rechtsanwalt, der den Patienten vertritt, ist es von besonderer Bedeutung, welche Partei verklagt wird. Wenngleich es gem. § 50 ZPO Pflicht des Gerichts ist, die Passivlegitimation von Amts wegen zu überprüfen, besteht diesbezüglich ein nicht unerhebliches Risiko des verklagenden Anwalts, selbst in Regress genommen zu werden, da eventuell die falsche Partei verklagt wird und somit die Gefahr besteht, dass die Ansprüche gegen den "richtigen" Gegner in der Zwischenzeit verjähren.
Die Parteibezeichnung ist der Auslegung zugänglich, so dass bei einer fehlerhaften Bezeichnung der Beklagten entscheidend ist, wie die Bezeichnung aus objektiver Sicht zu verstehen ist. Bei der Auslegung ist der Inhalt der gesamten Klageschrift maßgeblich. Unerheblich ist, wenn die irrtümlich bezeichnete Prozesspartei gar nicht existiert.
Im Bereich der Passivlegitimation müssen drei Bereiche Berücksichtigung finden. Diese drei Bereiche sind die Verursacherhaftung, die Vertragshaftung und die Rechtsscheinhaftung. Es ist insofern grundsätzlich danach zu fragen, wer auf der anderen Seite gehandelt hat und welche rechtlichen Konstellationen dahinter stehen. Je nach Konstellation werden Fragen bezüglich der Passivlegitimation aufgeworfen, die von entsprechender Erheblichkeit sind. Im Folgenden sollen deshalb die einschlägigsten Konstellationen dargestellt werden:
(1) Amtsarzt
Rz. 89
Wird der Amtsarzt in Ausführung seines öffentlichen Amts tätig, haftet er nicht persönlich, da dann das Beamtenprivileg eingreift. Ein Vertragsverhältnis zwischen ihm und dem Patienten besteht nicht; es kommen lediglich Amtshaftungsansprüche in Betracht.
(2) Anästhesist
Rz. 90
Der Anästhesist haftet für seine Behandlungsfehler selbst; er ist nicht Erfüllungsgehilfe des Operateurs.
(3) Ärztlicher Notfalldienst
Rz. 91
Der Notfalldienst tuende Arzt haftet selbst...