Dr. Alexandra Jorzig, Ilse Dautert
1. Sachverhaltsermittlung
Rz. 58
Der einen Patienten vertretende Rechtsanwalt sieht sich häufig anlässlich des Erstgesprächs einer Vielzahl von Informationen ausgesetzt, bei denen sich nicht selten im Nachhinein herausstellt, dass entscheidende Kernpunkte fehlten. Kernstück anwaltlicher Tätigkeit auf Patientenseite ist die sorgfältige Ermittlung der relevanten Fakten. Die Komplexität arzthaftungsrechtlicher Schadensregulierung gebietet, im Interesse des Patienten vor Anspruchsanmeldung eine sorgfältige Sachverhaltsermittlung. Eine hohe Zahl von Medizinschadensfällen wird außergerichtlich erledigt.
a) Parteiinformation
aa) Gedächtnisprotokoll
Rz. 59
Es ist wichtig, den Patienten zur Fertigung eines ausführlichen Gedächtnisprotokolls und Nennung von möglichen Zeugen aufzufordern.
Patienten haben häufig Probleme, ein Gedächtnisprotokoll zu fertigen. Sie glauben, dass sie entsprechende Gedächtnisprotokolle nicht "druckreif" verfassen können. Dabei sollte man dem Patienten verdeutlichen, dass es nicht um die Abfassung eines druckreifen Gedächtnisprotokolls, sondern lediglich um eine im Verhältnis Rechtsanwalt-Mandant interne Berichterstattung geht. Dieses Gedächtnisprotokoll sollte man auch tunlichst in der eigenen Handakte belassen, d.h. lediglich zum internen Gebrauch verwenden. Selten sind es im Verlauf einer medico-legalen Auseinandersetzung kleine, auf den ersten Blick unwichtige Details, die noch eine entscheidende Wendung herbeiführen können. Der Patient als medizinischer Laie, häufig aber auch der Rechtsanwalt (ebenfalls als medizinischer Laie), weiß dies zunächst nicht. Wichtig ist ein derartiges Gedächtnisprotokoll auch deswegen, weil vielfach Erinnerungen im Laufe der Jahre verblassen. Fragt man einen Patienten zwei Jahre nach dem Erstgespräch – über das selbstverständlich ein detaillierter Aktenvermerk, gerade auch im Interesse des Rechtsanwaltes, gefertigt werden sollte –, dann stellt man mit Erstaunen fest, wie viele Details nicht mehr in Erinnerung sind.
bb) Zeugenberichte
Rz. 60
Anhörungen von Zeugen, die häufig viele Jahre nach dem fraglichen Ereignis stattfinden, sind nicht unproblematisch: Der Zeuge weiß nach geraumer Zeit kaum mehr Details. Das sind nicht selten gerade die Details, auf die es ankommt. Zeugen sollten rechtzeitig zur Fertigung von Berichten aufgefordert werden. Sinnvoll sind sie allemal, weil sich aus diesen Zeugenberichten ggf. Hinweise auf mögliche weitere Komplikationen ergeben können.
b) Behandlungsunterlagen
aa) Dokumentationspflicht
Rz. 61
Der Arzt muss die ärztliche Behandlung in ihren wesentlichen Grundzügen dokumentieren. Die Behandlungsdokumentation stellt das zentrale Beweismittel im Arzthaftungsprozess dar. Sie ist als Urkundsbeweis anerkannt und einer glaubwürdigen ärztlichen Dokumentation soll der Tatrichter Glauben schenken.
bb) Inhalt und Umfang der Dokumentationspflicht
Rz. 62
Die Dokumentation der Krankenunterlagen hat keinen Selbstzweck, schon gar nicht dient sie der Beweissicherung für eine forensische Auseinandersetzung; sie dient in erster Linie der Sicherheit des Patienten.
Der Umfang der Dokumentationspflicht wird durch das "medizinisch Notwendige" bestimmt, d.h. es sind "nur" die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu dokumentieren. Eine Dokumentation in Stichworten reicht. Der Nachbehandler muss allerdings trotz stichwortartiger Aufzeichnungen das Behandlungsgeschehen nachvollziehen können. Zu dokumentieren sind die Anamnese, sämtliche erhobenen Befunde, ärztliche Anordnungen und Verordnungen sowie Anweisungen an die Funktions- und Behandlungspflege. Ferner sind die Verlaufsdaten (Operationsbericht, Narkoseprotokoll, ärztliche Verlaufskontrollen) zu dokumentieren. Grundsätzlich sind auch Zwischenfälle zu dokumentieren. Die Dokumentation muss zeitnah erfolgen, was in der Praxis nicht immer möglich ist (z.B. bei Notfallbehandlungen, bei denen zunächst die Behandlung im Vordergrund steht).
Der Arzt muss Auskunft darüber geben, welche Sicherungs- und Schutzmaßnahmen er bei elektronischer Datenspeicherung einsetzt, um nachträgliche Veränderungen zu verhindern. Nachträgliche Änderungen und Berichtigungen sind zulässig, jedoch muss der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleiben. Ist der Arzt der ihm berufsrechtlich auferlegten Verpflichtung zur Sicherung seiner Aufzeichnungen vor nachträglichen Veränderungen nicht nachgekommen, relativiert sich deren Beweiswert. Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen § 630f Abs. 1 oder Abs. 2 BGB nicht aufgezeichnet oder die Patientenakte entgegen § 630f Abs. 3 BGB nicht aufbewahrt, wird vermutet, dass er diese Maßnahmen nicht getroffen hat.
Rz. 63
Hohe Anforderungen stellt der BGH an die Dokumentationspflicht bei selbstständigem Operieren eines noch in Facharztausbildung stehenden Arztes, auch bei Routineeingriffen.
Befunde mit negativem Ergebnis sind zu dokumentieren, wenn sie für die Diagnostik und die Therapie wichtig sind.