Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 384
Die im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom 16.12.2013 festgeschriebene Ankündigung, Leiharbeitnehmer grundsätzlich bei der Bestimmung der Schwellenwerte nach dem BetrVG bei dem Entleiher mitzuzählen, hat Eingang in das mit Wirkung zum 1.4.2017 in Kraft getretene "Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze" vom 21.2.2017 gefunden.
Der in diesem Zusammenhang relevante § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG lautet wie folgt:
Soweit Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes mit Ausnahme des § 112a, des Europäische Betriebsräte-Gesetzes oder der aufgrund der jeweiligen Gesetze erlassenen Wahlordnungen eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Anteil von Arbeitnehmern voraussetzen, sind Leiharbeitnehmer auch im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen.
Auf Grundlage des Wortlautes der gesetzlichen Vorschrift ist ausschließlich das BetrVG einschließlich der Wahlordnung 2001 vom 11.12.2001 und der Wahlordnung Seeschifffahrt vom 7.2.2002 sowie das EBRG, für das bislang keine Wahlordnung erlassen wurde, vom sachlichen Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG erfasst. Dieser betrifft hingegen keine anderen (arbeitsrechtlich relevanten) Gesetze und dort vorgesehene Schwellenwerte, insbesondere nicht das SprAuG und das BPersVG. Insoweit wollte der Gesetzgeber keine Regelung für die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei dem Entleiher treffen. § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG ist – vorbehaltlich der Bestimmungen gem. § 14 Abs. 2 S. 5, 6 AÜG zur Unternehmensmitbestimmung – abschließend zu verstehen.
Vor diesem Hintergrund regelt § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG nicht, ob und inwiefern Leiharbeitnehmer bei Schwellenwerten in anderen gesetzlichen Regelungen wie Stammbeschäftigte mitzuzählen sind. Dies betrifft dabei insbesondere die Anwendbarkeit des KSchG (Kleinbetriebsklausel nach § 23 Abs. 1 KSchG) oder die Frage, ob ein Anspruch auf eine "reguläre" Teilzeitbeschäftigung ("in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer", § 8 Abs. 7 TzBfG) oder auf eine Teilzeittätigkeit während der Elternzeit ("in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer", § 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 BEEG) besteht. Insoweit ist zukünftig weiterhin eine am Telos der maßgeblichen Norm orientierte Auslegung vorzunehmen.
Rz. 385
Leiharbeitnehmer sind konsequenterweise auch bei den Schwellenwerten des § 17 KSchG nicht mitzuzählen, um bewerten zu können, ob die Voraussetzungen für eine interessen- oder sozialplanpflichtige Betriebsänderung bei dem Entleiher i.S.v. § 111 S. 1, 3 BetrVG vorliegen. § 17 KSchG ist gerade kein betriebsverfassungsrechtlicher Schwellenwert, bei dem der Gesetzgeber unter Anwendung von § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG Leiharbeitnehmer zukünftig grundsätzlich zu berücksichtigen gedenkt. Vielmehr wird die Staffelung nach § 17 KSchG von der Rechtsprechung lediglich in § 111 S. 3 BetrVG "hineingelesen", um die Wesentlichkeit der von dem Entleiher geplanten Maßnahme bestimmen und konkretisieren zu können, die sodann eine Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht auszulösen vermag. De facto handelt es sich bei § 17 KSchG – zumindest im Kontext von § 111 S. 1, 3 BetrVG – lediglich um eine Auslegungshilfe, nicht aber um einen von § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG erfassten Schwellenwert des BetrVG.
Auch bei der Anwendung von § 17 KSchG in dessen "Reinform", nämlich zur Bestimmung, ob eine Massenentlassungsanzeige aufgrund der geplanten Anzahl von Entlassungen erforderlich ist, zählen Leiharbeitnehmer im Betrieb des Entleihers nicht mit. § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG ist nicht anwendbar, da sich die Regelung ausdrücklich nur auf betriebsverfassungs-, nicht hingegen auf kündigungsschutzrechtliche Schwellenwerte bezieht. Insoweit bleibt es bei den vom BAG inzwischen in ständiger Rechtsprechung vorgegebenen Kriterien der Auslegung, um nach der Zweckrichtung der jeweiligen Norm festlegen zu können, ob Leiharbeitnehmer entsprechend zu berücksichtigen sind. Dies ist nach dem Telos von § 17 KSchG allerdings nicht geboten. Leiharbeitnehmer können schlichtweg nicht vom Entleiher entlassen werden, da zu diesem kein Arbeitsverhältnis besteht. Diesen kommt daher ein Schutz gegenüber Massenentlassungen, insbesondere über § 17 KSchG, nur im Verhältnis zu dem Verleiher als deren Vertragsarbeitgeber zugute.
Rz. 386
Bemerkenswert an § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG ist im Übrigen, dass sich die im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 vereinbarte Einschränkung, dass ein Mitzählen von Leiharbeitnehmern nur erfolgen soll, wenn dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht, nicht im Gesetzeswortlaut wiederfindet; auch vom EBRG war im Koalitionsvertrag des Jahres 2013 keine Rede, so dass § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG zumindest insoweit eine über die zwischen Union und SPD am 16.12.2013 erzielte Verständigung hinaus gehende, überschüssige Tendenz attestiert werden kann.
In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass – die Entwicklung der neueren Rechtsprechung aufgreifend – gesetzlich klargestellt werde, dass Leiharbeitnehmer mit Ausnahme des § 1...