Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 279
Wird ein Verleiher bestreikt, gelten die allgemeinen Regeln des Arbeitskampfes. Bei rechtmäßigen Arbeitskämpfen im Zusammenhang mit Tarifverträgen zur Arbeitnehmerüberlassung steht dem Leiharbeitnehmer das Recht zu, sich an einem solchen Streik zu beteiligen. Das Streikrecht gilt unabhängig davon, ob der Leiharbeitnehmer über seine Gewerkschaftsmitgliedschaft oder eine vertragliche Bezugnahme dem Tarifvertrag unterliegt. Anders ist die Situation bei einem Arbeitskampf im Einsatzbetrieb des Leiharbeitnehmers (Entleiher). Im Entleiherbetrieb kann er keine Tarifregelung erreichen, die unmittelbar seiner Besserstellung dient. Zwar partizipiert der Leiharbeitnehmer im Anwendungsbereich des Gleichstellungsgrundsatzes gem. § 8 Abs. 1 AÜG mittelbar am Streikergebnis. Bei dem Leiharbeitnehmer handelt es sich dennoch im Hinblick auf den Arbeitskampf beim Entleiher um einen "außenstehenden Dritten". Nach überwiegender Meinung steht daher dem Leiharbeitnehmer kein Streikrecht zu, wenn ein Entleiher von einem Arbeitskampf betroffen ist. Nimmt der Leiharbeitnehmer dennoch an Maßnahmen des Arbeitskampfes im Entleihbetrieb teil, liegt eine Verletzung der Leistungspflicht gegenüber dem Entleiher und eine Vertragsverletzung gegenüber dem Verleiher vor. Dem Entleiher können dann nach allgemeinen Regeln Ansprüche aus unerlaubter Handlung zustehen, insbesondere wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Dem Verleiher steht in diesen Fällen unter Umständen ein Recht zur verhaltensbedingten, ggf. außerordentlichen Kündigung des Leiharbeitnehmers zu.
Rz. 280
Die Entscheidung des BAG vom 19.6.2007 zu der grundsätzlichen Zulässigkeit von Unterstützungsstreiks, wird indes teilweise so verstanden, dass ein Unterstützungsstreik, zu dem auch die organisierten Leiharbeitnehmer aufgerufen werden, zulässig sein kann. Unter diesem Blickwinkel dürfte es unerheblich sein, falls die Leiharbeitnehmer einer anderen Gewerkschaft angehören als die streikende Stammbelegschaft. Denn der Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG gilt – wenn auch nicht mit derselben Offenkundigkeit – grundsätzlich auch, wenn die den Hauptarbeitskampf führende und die den Unterstützungsstreik ausrufende Gewerkschaft nicht identisch sind. Allerdings dürfte in der Praxis das Bedürfnis von Leiharbeitnehmern und "ihrer" Gewerkschaft, einen Streik zu unterstützen, an dessen Ergebnis sie zumeist allenfalls mittelbar partizipieren, in aller Regel wenig ausgeprägt sein.
Rz. 281
Leiharbeitnehmer konnten bis zur AÜG-Reform 2017, wie arbeitswillige Stammarbeitnehmer auch, als sog. "Streikbrecher" eingesetzt werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 11 Abs. 5 AÜG ist dies unter anderem in den Bereichen Einzelhandel, Gesundheitswesen, Postdienste, Telekommunikation und Metall in den letzten Jahren mehrfach vorgekommen. Auf diese Weise war es bestreikten Entleihern möglich, auch durch die Hinzunahme von Leiharbeitskräften den negativen Streikauswirkungen entgegenzutreten und den Betrieb trotz Arbeitskampf – gegebenenfalls teilweise – aufrecht zu erhalten.
Der Begriff des "Streikbrechers" ist politisch aufgeladen und nicht zielführend. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern – wie auch von Stammarbeitskräften oder anderen Personen – stellte für den bestreikten Entleiher im Ausgangspunkt eine legitime und legale Abwehrmaßnahme gegen die Folgen des Arbeitskampfs dar. Es ist in der Rechtsprechung des BAG anerkannt, dass der Arbeitgeber auf unterschiedliche Weise und ohne, dass es sich zwangsläufig um eine Arbeitskampfmaßnahme i.e.S. handeln muss, auf einen Streik reagieren kann. Hierzu gehört es auch, etwa durch Zahlung von "Streikbruchprämien" an arbeitswillige Arbeitnehmer, den Versuch zu unternehmen, den Betrieb mit arbeitswilligen Arbeitnehmern aufrecht zu erhalten.
Rz. 282
Auch aus der Perspektive der Leiharbeitnehmer ist es zunächst so, dass es ihnen wie jedem Arbeitnehmer aufgrund der negativen Koalitionsfreiheit freisteht, sich für oder gegen den Streik einzusetzen. Daher war das bis zur AÜG-Reform geltende Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers durchaus konsequent, wenngleich auch dieses verfassungsrechtlich umstritten war, da die Ausübung des Rechts nach herrschender Meinung nicht den Wegfall der Vergütungspflicht des Entleihers zur Folge hatte (siehe hierzu auch Rdn 312).
Das BVerfG teilt die gegen das Einsatzverbot geäußerten Bedenken nicht und hält jedenfalls die Eingriffe in die verfassungsrechtlichen Freiheiten der Entleiher für verhältnismäßig und damit verfassungsgemäß.