Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
a) Überblick über die aktuelle Regelung
Rz. 71
Mit der zum 1.4.2017 eingeführten Regelung in § 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG kehrte der Gesetzgeber wieder zu einer ausdrücklichen Regelung einer Überlassungshöchstdauer zurück. Mit der Regelung sollte ausweislich der Gesetzesmaterialien das Kriterium der vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung konkretisiert und so Rechtssicherheit geschaffen werden.
Rz. 72
Nach § 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b S. 1 AÜG darf ein Leiharbeitnehmer seither nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate an denselben Entleiher überlassen werden. Ein Folgeeinsatz ist gem. § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG erst nach einer dreimonatigen Karenzzeit möglich. Mit der Frist von 18 Monaten sollten ausweislich der Gesetzesmaterialien die bereits vor der Neuregelung bestehenden tarifvertraglichen Vereinbarungen aus der Praxis aufgenommen werden, die die maximal zulässige Einsatzdauer und/oder Übernahmeansprüche gegenüber dem Entleiher nach einer bestimmten Einsatzdauer regelten. Die Regelung soll einerseits einer dauerhaften Substitution der Stammbelegschaft entgegenwirken, andererseits jedoch weiterhin flexible Einsatzmöglichkeiten für die Unternehmen erhalten.
Rz. 73
Die Überlassungshöchstdauer ist tarifdispositiv ausgestaltet. Von ihr kann gemäß § 1 Abs. 1b S. 3, 5 AÜG durch Tarifvertrag der Einsatzbranche oder auf der Grundlage eines solchen Tarifvertrags durch Dienst- oder Betriebsvereinbarung abgewichen werden. Entsprechendes gilt nach § 1 Abs. 1b S. 8 AÜG für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen. Nicht tarifgebundene Entleiher können gemäß § 1 Abs. 1b S. 4 AÜG die Regelungen eines einschlägigen Tarifvertrags durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung inhaltsgleich übernehmen. Bei mehreren einschlägigen Tarifverträgen ist insoweit gemäß § 1 Abs. 1b S. 7 AÜG auf den repräsentativsten Tarifvertrag abzustellen. Sofern der einschlägige Tarifvertrag eine Öffnungsklausel enthält, können nicht tarifgebundene Entleiher hiervon nach § 1 Abs. 1b S. 6 AÜG allerdings nur bis zu einer Obergrenze von 24 Monaten Gebrauch machen.
Rz. 74
Für das Eingreifen der Überlassungshöchstdauer galt zunächst eine Übergangsfrist. Nach § 19 Abs. 2 AÜG wurden für die Berechnung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer Überlassungszeiten vor dem 1.4.2017 nicht berücksichtigt. Die gesetzliche Überlassungshöchstdauer konnte folglich frühestens am 1.10.2018 überschritten werden. Hierdurch sollte es den Unternehmen und insbesondere auch den Tarifvertragsparteien ermöglicht werden, sich auf die Neuregelung einzustellen (vgl. hierzu auch Rdn 446 ff.).
b) Europarechtskonformität einer Überlassungshöchstdauer
Rz. 75
Die europarechtlichen Vorgaben für die zeitliche Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung waren lange Zeit unklar. Die EU-Kommission entnahm der Leiharbeitsrichtlinie in einer online nicht mehr verfügbaren Stellungnahme – entgegen der h.M. in der Literatur – keine zeitliche Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung. Auch die Große Kammer des EuGH vermied in der Rechtssache AKT zunächst, zur Zulässigkeit mitgliedschaftlicher Beschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung und dem "vorübergehenden" Charakter der Leiharbeit Stellung zu nehmen, indem sie Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie im Wesentlichen eine bloß prozedurale Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnahm. Die Kammer stellte insoweit klar, dass die Mitgliedstaaten bei der Regelung der Arbeitnehmerüberlassung nicht völlig frei seien, sondern den in Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie festgelegten Rahmen zu beachten hätten, wonach Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Zur zulässigen Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung äußerte sie sich indes nicht. Dies galt auch für Generalanwalt Szpunar. Dieser betonte in seiner Stellungnahme zur vorstehenden Rechtssache den bipolaren Regelungszweck der Richtlinie, die einerseits die Leiharbeitnehmer vor missbräuchlichen Gestaltungen schützen, andererseits aber auch ungerechtfertigte Hemmnisse der Leiharbeit beseitigen solle, um den flexiblen Einsatz von Leiharbeitnehmern zu fördern. Bei der Abwägung dieser gegenläufigen Interessen räumte der Generalanwalt den Mitgliedstaaten einen "bedeutenden Wertungsspielraum" ein. Mit der Frage der zeitlichen Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung befasste aber auch er sich nicht.
Rz. 76
Erst in den Rechtssachen JH/KG und Daimler setzte sich die Zweite Kammer des EuGH mit dem "vorübergehenden" Charakter der Leiharbeit auseinander. Hierbei knüpfte die Kammer an Art. 5 Abs. 5 S. 1 der Leiharbeitsrichtlinie an, wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten ergreifen, um eine missbräuchliche Anwendu...