Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
a) Wirkungen der gesetzlichen Fiktion
Rz. 143
Zentrale Rechtsfolge einer Überschreitung der Überlassungshöchstdauer ist, dass gleichzeitig mit dem Unwirksamwerden des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert wird. Die Fiktion tritt unabhängig vom Willen oder der Kenntnis der Beteiligten ein und kann als zwingende Arbeitnehmerschutznorm nicht abbedungen werden. Lediglich der Leiharbeitnehmer kann die Fiktion durch eine Festhaltenserklärung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2 AÜG verhindern (Rdn 138). Das Recht eines nicht mehr im Betrieb des Entleihers eingesetzten Leiharbeitnehmers, den Bestand des gesetzlich fingierten Arbeitsverhältnisses klageweise geltend zu machen, kann jedoch verwirken (sog. Prozessverwirkung). Zudem kann die Berufung auf das fingierte Arbeitsverhältnis rechtsmissbräuchlich sein. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das Leiharbeitsverhältnis mit dem Verleiher fortgesetzt wird und der Leiharbeitnehmer nach der Beendigung des unter Verstoß gegen die Überlassungshöchstdauer erfolgenden Einsatzes bei einem anderen Entleiher eingesetzt wird (hierzu auch oben Rdn 139 f.). Endet das fingierte Arbeitsverhältnis in derartigen Fällen nicht bereits nach § 10 Abs. 1 S. 2 AÜG (vgl. Rdn 146), bleibt es grundsätzlich bestehen. Eine konkludente Aufhebung des fingierten Arbeitsverhältnisses ist nach herrschender Meinung aufgrund des Schriftformerfordernisses des § 623 BGB nicht möglich.
b) Inhalt des fingierten Arbeitsverhältnisses
Rz. 144
Für den Inhalt des fingierten Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher gelten die allgemeinen Grundsätze. Nach § 10 Abs. 1 S. 3 AÜG gilt die zwischen Verleiher und Entleiher vereinbarte Arbeitszeit als vereinbart. Im Übrigen bestimmen sich Inhalt und Dauer des Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 S. 4 AÜG nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen. Nach § 10 Abs. 1 S. 5 AÜG hat der Leiharbeitnehmer mindestens Anspruch auf das mit dem Verleiher vereinbarte Entgelt. Wird das fingierte Arbeitsverhältnis jedoch von einem beim Entleiher geltenden Tarifvertrag erfasst, gelten nach § 10 Abs. 1 S. 4 AÜG die für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften. Zahlt der Entleiher übertarifliche Löhne an die "Stammarbeitnehmer", hat der Leiharbeitnehmer nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz einen Anspruch auf den gleichen Lohn. Vor diesem Hintergrund kann auch dann ein Entgeltzahlungsanspruch gegen den Entleiher bestehen, wenn der Verleiher das ursprünglich aus dem Leiharbeitsvertrag geschuldete Arbeitsentgelt an den Leiharbeitnehmer gezahlt hat.
Rz. 145
Wie bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung gilt auch bei einer Überschreitung der zulässigen Überlassungshöchstdauer mit dem Eintritt der Fiktionswirkung eine gesamtschuldnerische Haftung von Verleiher und Entleiher. Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt ganz oder teilweise an den Leiharbeitnehmer, haftet er nach § 10 Abs. 3 AÜG neben dem Entleiher als Gesamtschuldner auch für sonstige Teile des Arbeitsentgelts, die bei einem wirksamen Arbeitsvertrag für den Leiharbeitnehmer an einen anderen zu zahlen gewesen wären. Hierzu gehören insbesondere die Sozialversicherungsbeiträge und die Einkommenssteuer. Zur Abführung der Lohnsteuer ist der Verleiher bereits durch § 42d Abs. 6 EStG verpflichtet. Die Pflicht zur Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ist in § 28e Abs. 2 S. 3 und 4 SGB IV speziell festgelegt. Der Gesetzgeber hat die Regelung in § 28e Abs. 2 S. 3 SGB IV ausdrücklich auf den Fall einer Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG erstreckt.
c) Beendigung des fingierten Arbeitsverhältnisses
Rz. 146
Die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmt sich grundsätzlich nach den für den Entleiherbetrieb geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen. Eine Ausnahme hiervon bildet die Fiktion des § 10 AÜG Abs. 1 S. 2 AÜG, nach der das fingierte Arbeitsverhältnis als befristet gilt, wenn die Tätigkeit beim Entleiher nur befristet vorgesehen war und für das Arbeitsverhältnis ein die Befristung sachlich rechtfertigender Grund vorlag. Ein sachlicher Grund liegt vor, wenn bei einem hypothetisch unterstellten vertraglichen Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses die...