Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 60
Gewisse Fragezeichen bestehen hinsichtlich der Konformität der in § 1 Abs. 3 Nr. 2b und 2c AÜG vorgesehenen Bereichsausnahmen für den öffentlichen Dienst mit der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG. Im arbeitsrechtlichen Schrifttum wird teilweise bezweifelt, dass die AÜG-Novelle aufgrund der umfassenden Einschränkung des Anwendungsbereichs des AÜG für den Bereich des öffentlichen Dienstes den durch die Rechtsprechung des EuGH konkretisierten Vorgaben der EU-Richtlinie gerecht wird. So wird vertreten, dass die Bereichsausnahme eine unzulässige Privilegierung des öffentlichen Dienstes darstelle, welche die Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie nicht einhalte. Sowohl die Personalgestellung als auch Gestaltungsformen wie die Abordnung dürften nach Wortlaut und Systematik der Richtlinie nicht anders behandelt werden als andere Formen der Überlassung von Arbeitnehmern. Die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie sei nicht einschlägig. Die Richtlinie erfasse nicht nur gewerbliches Handeln, sondern auch wirtschaftliche Tätigkeiten aller Art, mithin auch diejenigen öffentlicher Arbeitgeber. Auch erfasse die Richtlinie nicht nur "unechte Leiharbeit", d.h. Konstellationen, bei denen Arbeitnehmer bereits planmäßig zum Zwecke der späteren Verleihung eingestellt wurden, sondern auch "echte Leiharbeit", bei der die Verleihung nicht bereits bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses vorgesehen war. Zur letztgenannten Fallgruppe gehören auch Drittpersonaleinsätze wie Abordnung, Zuweisung und Personalgestellung.
Rz. 61
Es spricht allerdings einiges dafür, dass jedenfalls die "klassischen" Formen von Drittpersonaleinsätzen im öffentlichen Dienst, insbesondere die Personalgestellung, nicht vom Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie erfasst werden bzw. mit dieser vereinbar sind. Diese Problematik stellt sich von vornherein nicht, soweit es um die Personalüberlassung für die Ausübung hoheitlicher Aufgaben geht, da die Leiharbeitsrichtlinie hier entsprechend der Rechtsprechung des EuGH mangels Vorliegens einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.v. Art. 1 Abs. 2 RL-LA unanwendbar ist. Aber auch außerhalb der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben gilt bspw. im Hinblick auf die Personalgestellung (wie in § 4 Abs. 3 TVöD/TV-L), dass die Richtlinie nur vorübergehende, daher zeitlich befristete Überlassungen von Arbeitnehmern im Blick haben dürfte, jedoch nicht dauerhafte Überlassungen aufgrund einer dauerhaften Aufgabenübertragung. Unabhängig von der geplanten Überlassungsdauer ist ferner zu berücksichtigen, dass die Leiharbeitsrichtlinie nach Art. 3 Abs. 1 lit. b 2008/1004/EG für Leiharbeitsunternehmen gilt, d.h. für natürliche oder juristische Personen, die mit Leiharbeitnehmern nach einzelstaatlichem Recht Arbeitsverträge schließen oder Beschäftigungsverhältnisse eingehen, um sie entleihenden Unternehmen zu überlassen, damit sie unter deren Leitung und Aufsicht vorübergehend arbeiten. Dies sind allerdings typischerweise nicht die Konstellationen, welche der nationale Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 Nr. 2b und 2c AÜG vor Augen hat. Denn eine Anstellung zum Zwecke der Überlassung dürfte zumindest bei der Verwendung der üblichen (tariflichen) Gestaltungsinstrumente wie Personalgestellung, Abordnung und Zuweisung regelmäßig nicht vorliegen. Denn mit diesen Mitteln reagieren öffentliche Arbeitgeber üblicherweise auf sich erst nachträglich, d.h. bei schon bestehendem Arbeitsverhältnis ergebende Strukturveränderungen der Verwaltung, die unter Wahrung des Arbeitsverhältnisses mit dem öffentlich-rechtlichen Rechtsträger bewältigt werden sollen. Schlussendlich sollten hier auch Schutzzwecküberlegungen berücksichtigt werden. Die Leiharbeitsrichtlinie zielt, ebenso wie das AÜG, darauf ab, einen Missbrauch der Leiharbeit durch Umgehung von Sozialschutz- und Beschäftigungsstandards zu verhindern und Beschäftigte vor prekären Arbeitsverhältnissen zu schützen. Eine Schlechterstellung der Leiharbeitskräfte gegenüber der Stammbelegschaft des Entleihers soll vermieden werden. Wie aufgezeigt, bezwecken die genannten Mittel jedoch typischerweise nicht die kostengünstige Bereitstellung von Beschäftigungskapazitäten für einen Dritten, sondern dienen gerade der Aufrechterhaltung der Sozial- und Schutzstandards einschließlich der Tarifbedingungen des öffentlichen Dienstes. Insofern ist der Gesetzgeber offenbar davon ausgegangen, dass in den von den Ausnahmebestimmungen des § 1 Abs. 3 Nr. 2b und 2c AÜG erfassten Konstellationen üblicherweise auch keine "leiharbeitstypische" Gefährdungslage gegeben ist. Ob diese Einschätzung in gleicher Weise für die jedenfalls nach ihrem Wortlaut sehr weit gefasste Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2c AÜG zutrifft, ist hingegen nicht völlig klar.
Rz. 62
Jüngst hat das BAG den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV um die Klärung der Frage gebeten, ob die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtli...