Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 337
Immerhin normiert § 11 Abs. 5 AÜG ein generelles Einsatzverbot. Der Gesetzgeber unterscheidet nicht danach, ob in der konkreten Arbeitskampfsituation bereits eine Arbeitskampfdisparität zugunsten der Arbeitgeberseite besteht, welche durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern ausgelöst oder verstärkt würde. Er geht vielmehr scheinbar (stillschweigend) hiervon aus. Bis zuletzt bestand in Rechtsprechung und Literatur weitgehend Einigkeit, dass Funktionsdefizite der Tarifautonomie mit der Folge eines Kräfteungleichgewichtes nicht generell, sondern nur in bestimmten Bereichen, insbesondere im Niedriglohnsektor, bestehen. Ist demnach die Prämisse, dass die Tarifautonomie weitgehend funktionsfähig ist und damit die Gewerkschaften grundsätzlich sehr wohl (noch) in der Lage sind, durch die ihnen zur Verfügung stehenden Arbeitskampfmaßnahmen eine Kampfparität zu erreichen, wird diese annähernde Parität durch das Einsatzverbot von Leiharbeitnehmern offensichtlich zulasten der Entleiherbetriebe verschoben. Eine Rechtfertigung für einen generellen Eingriff ist zunächst nicht ersichtlich. Sieht der Gesetzgeber tatsächlich in bestimmten Bereichen oder Branchen eine Verschiebung der Parität zulasten der Gewerkschaften, die es durch das Einsatzverbot auszugleichen gilt, wäre es jedenfalls ein milderes Mittel, das Einsatzverbot entsprechend zu beschränken. Die damit einhergehende Fehleinschätzung des Gesetzgebers läge dann darin, dass er ein generelles Kräfteungleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien ausmacht, welches nicht besteht oder zumindest rechtswissenschaftlich noch nicht überzeugend dargelegt werden konnte. Auch wenn das Gesetz im Vergleich zum Referentenentwurf, der das Einsatzverbot auf den gesamten bestreikten Betrieb bezog, rechtlich teilweise entschärft wurde, können die Bedenken nicht ausgeräumt werden. Durch die Probleme in der Abgrenzung, welche Tätigkeiten zuvor von der Stammbelegschaft erledigt wurden, verbleibt es faktisch bei einem vollständigen Einsatzverbot.
Das BVerfG hat sich diese Kritik nicht zu eigen gemacht. Es geht davon aus, dass den Gesetzgeber keine von der materiellen Verfassungsmäßigkeit unabhängige Sachaufklärungspflicht treffe. Er ist also nicht gehalten, empirische Daten zu sammeln und auszuwerten, die eine gestörte Parität belegen könnten. Vielmehr sieht das BVerfG den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers – jedenfalls für die verfassungsrechtlichen Freiheiten der Entleiher – als nicht überschritten an. Insbesondere bestätigt das BVerfG, dass es sich um ein legitimes Ziel des Gesetzgebers handle, wenn dieser mit dem Einsatzverbot "missbräuchliche Einwirkungen" auf Arbeitskämpfe unterbinden wolle. Wenn es auch zumindest wünschenswert gewesen wäre, dass sich das BVerfG mit der Frage auseinandergesetzt hätte, ob im Einsatzverbot tatsächlich eine "missbräuchliche" Arbeitskampfmaßnahme zu sehen ist, bestätigt das BVerfG nun auch für den Bereich des Arbeitskampfs, dass es Sache des Gesetzgebers ist, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Koalitionsfreiheit auszugestalten. Es ist danach verfassungsrechtlich ausreichend, wenn den Tarifvertragsparteien ein Bereich verbleibt, in dem sie ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbstverantwortlich und ohne staatliche Einflussnahme regeln können. Eine Optimierung der Kampfbedingungen verlange das Grundgesetz nicht. Es ist zutreffend, die Verantwortung für die Ausgestaltung der Tarifautonomie grundsätzlich beim Gesetzgeber zu sehen. Ein überzeugendes Konzept zur Stärkung der Tarifautonomie stellt die isolierte Regelung des Einsatzverbots von Leiharbeitnehmern jedoch nicht dar.