Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 339
Die verfassungsrechtlichen Positionen der Leiharbeitnehmer wurden bisher kaum in den Blick genommen. Dabei werden Leiharbeitnehmer sowohl in ihrer (negativen) Koalitionsfreiheit betroffen, als auch in ihrem Beschäftigungsanspruch beschränkt.
Rz. 340
Die negative Koalitionsfreiheit wurde bislang vor allem im Zusammenhang mit Reglungen der Tarifvertragsparteien, insbesondere bei der Differenzierung nach Gewerkschaftszugehörigkeit, diskutiert. So schützt diese auch vom BVerfG anerkannte Dimension der Koalitionsfreiheit unzweifelhaft die Entscheidung, einer Koalition fernzubleiben und damit auch vor unzulässigem Druck, einer Koalition beizutreten. Bei Arbeitskämpfen spielt die individuelle Koalitionsfreiheit allerdings ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle. So schützt sie den Einzelnen auch hinsichtlich einer Beteiligung an einem Arbeitskampf als Teil seiner Betätigungsfreiheit. Dies gilt infolge der Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Unterstützungsstreiks und Flashmob-Aktionen auch für Dritte, die nicht oder nicht unmittelbar vom Arbeitskampf profitieren. Umgekehrt schützt die (negative) Koalitionsfreiheit den Einzelnen auch in seiner eventuellen Entscheidung, sich an einem Arbeitskampf nicht zu beteiligen, auch wenn er vom Streikaufruf erfasst sein sollte. Ein Zwang zum Arbeitskampf besteht nicht.
Rz. 341
Leiharbeitnehmer profitieren – ähnlich wie Arbeitnehmer, die sich im Unterstützungsstreik befinden – allenfalls mittelbar von einem Arbeitskampf beim Entleiher. Ein klassisches Streikrecht der Leiharbeitnehmer im Einsatzbetrieb besteht daher regelmäßig nicht. Der Gesetzgeber räumte ihnen mit dem Leistungsverweigerungsrecht aber die Möglichkeit ein, den Arbeitskampf zu unterstützen und sich auf diese Weise an ihm zu beteiligen. Da Leiharbeitnehmer so Teil des Arbeitskampfes werden, ist es nur folgerichtig, das Wahlrecht und auch eine etwaige Unterstützung unter den Schutz von Art. 9 Abs. 3 GG zu stellen. Umgekehrt konnte sich der Leiharbeitnehmer jedoch auch dazu entscheiden, den Streik nicht zu unterstützen. Hierbei konnte eine mögliche Übernahmeperspektive eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Soweit der Gesetzgeber mit einem Einsatzverbot dem Leiharbeitnehmer dessen Wahlrecht nunmehr, zumindest soweit sie Tätigkeiten übernehmen, die bisher von Arbeitnehmern übernommen wurden, die sich im Arbeitskampf befinden, nimmt, greift er unmittelbar in die geschützten Rechtspositionen der Leiharbeitnehmer ein.
Rz. 342
Nimmt man einen Beschäftigungsanspruch auch von Leiharbeitnehmern während ihrer Einsatzzeit an, verlieren die betroffenen Leiharbeitnehmer zusätzlich diesen Anspruch. Es ist dem Verleiher im Rahmen von § 12 Abs. 5 AÜG rechtlich unmöglich, den Leiharbeitnehmer bei dem bestreikten Entleiher einzusetzen. Auch wenn ein anderer Einsatz in Betracht kommt, wird der Leiharbeitnehmer einen solchen nicht beanspruchen können.
Rz. 343
Der Gesetzgeber führt als Rechtfertigung des Einsatzverbotes vor allem den Schutz des Leiharbeitnehmers an. Das Leistungsverweigerungsrecht habe sich als nicht wirksam erwiesen. Der Gesetzgeber schützt den Leiharbeitnehmer also vor sich selbst. Er nimmt ihm ein Wahlrecht und trifft die Entscheidung, den Arbeitskampf zu unterstützen für den Leiharbeitnehmer. Dabei stellt sich die Frage, weshalb es eines solchen Schutzes – statt des erheblich milderen Mittels eines Wahlrechts – überhaupt bedarf. Auch die Stammbelegschaft ist jederzeit frei, sich an einem Arbeitskampf zu beteiligen oder dies zu unterlassen. Auch dort mögen sich Arbeitnehmer dem zum Teil erheblichem Druck des bestreikten Arbeitgebers ausgesetzt sehen. Auf die Idee diese Arbeitnehmer durch eine Streikpflicht schützen zu müssen, kommt zu Recht niemand. Dies läuft vielmehr dem Geist eines Freiheitsrechts zuwider.
Rz. 344
Rechtlich naheliegender erscheint die Rechtfertigung wie beim Eingriff in die Koalitionsfreiheit der Entleiher im Schutz der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu suchen (hierzu oben Rdn 334 ff.). Das BVerfG deutet in seiner Entscheidung zur Koalitionsfreiheit der Entleiher an, dass es keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Freiheiten der Leiharbeitnehmer hat. Denn es hält die Zweifel der Beschwerdeführer, ein Verbot, dass sich auch an die Leiharbeitnehmer richte, könne nicht deren Schutz dienen, für unbegründet. Zwingende Regelungen des Arbeitsrechts schafften erst den Rahmen, in dem die Arbeitnehmer ihre Grundrechte unter angemessenen Bedingungen verwirklichen könnten.