Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
aa) Entleiher als Partei des Tarifvertrags
Rz. 113
Eine Abweichung von der Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag setzt lediglich die Tarifbindung des Entleihers voraus. Bei einer Abweichungen von der Überlassungshöchstdauer handelt es sich um eine Betriebsnorm im Sinne des §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 TVG, sodass es auf die Tarifbindung des Leiharbeitnehmers nicht ankommt. Die Abweichung von der Überlassungshöchstdauer wird für alle in dem jeweiligen Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer -unabhängig von der Tarifbindung und der Person der Leiharbeitnehmer einheitlich geregelt. Damit ist – wie dies für Betriebsnormen Voraussetzung ist – unmittelbar die Organisation und Gestaltung des Betriebs betroffen. Ist der Entleiher an verschiedene Tarifverträge gebunden, die unterschiedliche Regelung zur Abweichung von der Überlassungshöchstdauer enthalten, ermittelt sich der anzuwendende Tarifvertrag nach dem Grundsatz der Repräsentativität (§ 4 Abs. 2 S. 2 TVG). Eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher kann die Tarifbindung des Entleihers nicht ersetzen. Ebenso ist es nicht ausreichend, dass in einem Tarifvertrag, an den der Verleiher gebunden ist, eine von der Überlassungshöchstdauer abweichende Regelung getroffen worden ist.
Rz. 114
Soweit § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG auf einen "Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche" abstellt, könnte dies dahingehend verstanden werden, dass nur durch einen Verbands- bzw. Branchentarifvertrag von der Überlassungshöchstdauer abgewichen werden kann. Ein derartiges Verständnis würde jedoch den Gesetzeswortlaut überstrapazieren und wäre auch unter dem Gesichtspunkt der individuellen Koalitionsfreiheit des Entleihers problematisch. Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht auch durch einen Firmentarifvertrag von der Überlassungshöchstdauer abgewichen werden darf. Durch die Tariföffnungsklausel soll gerade den betrieblichen Besonderheiten Rechnung getragen werden. Darüber hinaus genießt ein Firmentarifvertrag dieselbe Richtigkeitsgewähr wie ein Verbandstarifvertrag.
bb) Nachwirkung einer tarifvertraglichen Regelung
Rz. 115
Die Tariföffnungsklausel in § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG differenziert nicht zwischen normativ geltenden und lediglich nachwirkenden Tarifverträgen. Grundsätzlich wirken auch Betriebsnormen, wie sie Abweichungen von der Überlassungshöchstdauer darstellen (hierzu oben Rdn 107, 113), gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach, wenn die Tarifvertragsparteien nichts Abweichendes vereinbaren. Ob und unter welchen Voraussetzungen sich die Nachwirkung auch auf Tarifnormen erstreckt, die von tarifdispositivem Gesetzesrecht abweichen, ist hingegen noch nicht abschließend geklärt. Die wohl herrschende Meinung im tarifrechtlichen Schrifttum geht davon aus, dass auch nachwirkende Tarifverträge dispositives Gesetzesrecht verdrängen. Dies entspricht auch der überwiegenden Auffassung in der Literatur zur Tarifdisposivität des Equal-Pay-Grundsatzes. Unter Zugrundelegung dieser herrschenden Meinung kann auch ein nachwirkender Tarifvertrag eine Abweichung von der Überlassungshöchstdauer rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Entleiher vor Eintritt der Nachwirkung normativ an den Tarifvertrag gebunden war. Nachwirkende Betriebsnormen erfassen nur solche Betriebe, die während der Laufzeit des Tarifvertrags von der Tarifgeltung erfasst worden sind. Es genügt daher nicht, wenn der Entleiher erst nach Eintritt des Nachwirkungsstadiums in den tarifschließenden Arbeitgeberverband eintritt.
Rz. 116
Beispiel
Das Unternehmen U1 ist an die einschlägigen Verbandstarifverträge gebunden. In einem Leiharbeitstarifvertrag sind Regelungen zu einer Verlängerung der Überlassungshöchstdauer sowie Quoten für den Einsatz von Leiharbeitnehmern vorgesehen. Der Leiharbeitstarifvertrag läuft zum 31.12. aus, ohne dass eine neue tarifl...