Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 85
Nach § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG kommt es für die Berechnung der Überlassungshöchstdauer auf den Einsatz bei "demselben Entleiher" an. Überlassungen an andere Konzernunternehmen sind somit bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer bereits begrifflich nicht zu berücksichtigen. Dem Gesetzeswortlaut lässt sich hingegen nicht eindeutig entnehmen, ob der Begriff des "Entleihers" unternehmens- oder betriebsbezogen zu verstehen ist. Bei einer unternehmensbezogenen Betrachtung würden bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer auch Einsatzzeiten in anderen Betrieben desselben Unternehmens berücksichtigt.
Rz. 86
Beispiel
Das Unternehmen U hat Werke in Recklinghausen und Herne. Der Leiharbeitnehmer L wird zunächst für zehn Monate im Werk in Recklinghausen und im unmittelbaren Anschluss für zwölf Monate im Werk in Herne eingesetzt. Eine tarifliche oder betriebliche Regelung zur Überlassungshöchstdauer besteht nicht.
Rz. 87
Im Schrifttum wird verbreitet – zumeist ohne Begründung – eine unternehmensbezogene Betrachtung präferiert. Dieser Ansicht hat sich auch die Bundesagentur für Arbeit in ihren fachlichen Weisungen angeschlossen. Im vorstehenden Beispiel würde unter Zugrundelegung dieser Auffassung gegen die Überlassungshöchstdauer verstoßen, weil die Überlassungen an denselben Rechtsträger erfolgten. Bei näherer Betrachtung ist dies jedoch nicht überzeugend. Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte mit der Regelung der Überlassungshöchstdauer an die bestehenden tarifvertraglichen Vereinbarungen aus der betrieblichen Praxis angeknüpft werden. Diese Tarifverträge stellten in den damaligen Fassungen hingegen – wie z.B. der TV LeiZ – bei der Berechnung der maßgeblichen Zeiträume ausdrücklich auf den jeweiligen Einsatzbetrieb ab und ließen Einsatzzeiten in anderen Betrieben desselben Unternehmens unberücksichtigt. Hätte eine hiervon abweichende Regelung getroffen werden sollen, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich hervorzuheben, zumal sich der Gesetzgeber auch bei der dreimonatigen Karenzzeit offensichtlich an den maßgeblichen Tarifverträgen orientiert hat (hierzu unten Rdn 95 ff.). Ein derartiger Hinweis lässt sich den Gesetzesmaterialien aber nicht entnehmen. Stattdessen wurde darauf hingewiesen, dass die Überlassungshöchstdauer dazu diene, einer "Verdrängung von Stammarbeitnehmern im Einsatzbetrieb" entgegenzuwirken. Dieses Ziel wird bereits dann erreicht, wenn ein Leiharbeitnehmer nach Ablauf der Überlassungshöchstdauer in einem anderen Betrieb des Unternehmens tätig wird. Zudem wären mit einer unternehmensbezogenen Betrachtung kaum lösbare praktische Probleme verbunden. So wäre z.B. völlig unklar, was gilt, wenn bei einem Wechsel des Einsatzbetriebs in den Betrieben unterschiedliche Regelungen zur Überlassungshöchstdauer gelten. Ein betriebsbezogener Entleiherbegriff deckt sich im Übrigen mit der seinerzeit herrschenden Meinung zur Überlassungshöchstdauer nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a.F. Auch insoweit war anerkannt, dass es auf die Einsatzzeit im jeweiligen Entleiherbetrieb ankam. Vor diesem Hintergrund sprechen die besseren Argumente dafür, für die Berechnung der Überlassungshöchstdauer ausschließlich auf die Einsatzzeiten im jeweiligen Einsatzbetrieb abzustellen. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung ist es jedoch für die Praxis ratsam, eine unternehmensbezogene Betrachtung vorzunehmen, um Risiken zu vermeiden.
Rz. 88
Bei Gemeinschaftsbetrieben stellt sich die Frage, ob durch einen Wechsel des Entleihers zu einem anderen Trägerunternehmen des Gemeinschaftsbetriebs die Überlassungshöchstdauer erneut in Gang gesetzt wird und der Leiharbeitnehmer somit länger als 18 Monate im Betrieb tätig werden kann. Dies ist nach der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur indes nicht der Fall, weil kein Wechsel des Entleihers vorliege. Dies überzeugt, sofern man ein betriebsbezogenes Verständnis des Entleiherbegriffs zugrunde legt. Wenig konsequent ist dies jedoch, wenn man den Entleiherbegriff unternehmensbezogen versteht und an den Rechtsträger anknüpft. In diesem Fall handelt es sich bei einem Wechsel des Vertragspartners nicht mehr um "denselben Entleiher" im Sinne des § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG.
Rz. 89
Praxishinweis
Der Arbeitnehmerbezug der Überlassungshöchstdauer erfordert eine sorgfältige Dokumentation des Einsatzes der eingesetzten Leiharbeitnehmer (einschließlich etwaiger vorheriger Überlassungszeiten). Dem hiermit verbundenen administrativen Mehraufwand kann der Entleiher nur dann entgehen, wenn er den Verleiher im Überlassungsvertrag verpflichtet, dass der Verleiher für die Einhaltung der zulässigen Überlassungshöchstdauer (einschließlich etwaiger anrechenbarer vorheriger Überlassungen) verantwortlich ist. Nach den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit ist der Verleiher ohnehin verpflichtet, die konkreten Einsatzzeiten jedes Leiharbeitnehmers zu dokumentieren, indem er geeignete Nachweise in Textform zu seinen Geschäftsunterlagen nimmt und aufb...