Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
I. Überblick
Rz. 37
Seit der Gesetzesreform sieht das AÜG in § 1 Abs. 3 AÜG neben den bereits vorhandenen Ausnahmetatbeständen (wie etwa dem Konzernprivileg) eine Bereichsausnahme in zwei Varianten für den öffentlichen Dienst vor. Gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG ist das Gesetz mit Ausnahme des § 1b S. 1, des 16 Abs. 1 Nr. 1f und Abs. 2 bis 5 AÜG sowie der §§ 17 und 18 AÜG nicht anzuwenden auf die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Arbeitgebern, wenn Aufgaben eines Arbeitnehmers von dem bisherigen zu dem anderen Arbeitgeber verlagert werden und aufgrund eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber weiter besteht und die Arbeitsleistung zukünftig bei dem anderen Arbeitgeber erbracht wird. Hiernach soll insbesondere die in Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes vorgesehene Personalgestellung aus dem Anwendungsbereich des AÜG ausgeklammert bleiben. Entsprechendes gilt gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2c AÜG für Überlassungen zwischen Arbeitgebern, wenn diese juristische Personen des öffentlichen Rechts sind und Tarifverträge des öffentlichen Dienstes oder Regelungen der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften anwenden. Damit sind öffentlich-rechtlich organisierte Arbeitgeber, bei denen jeweils Tarifverträge des öffentlichen Dienstes und damit Arbeitsbedingungen auf vergleichbarem Niveau gelten, von den Vorgaben des AÜG bei der Überlassung von Beschäftigten weitgehend befreit. Die Ausnahmeregelung soll in ihrer Funktion dem für die Privatwirtschaft zugänglichen Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ähneln.
Rz. 38
Diese durch das AÜG-Änderungsgesetz eingeführten Vorschriften sind für Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sowie für die als öffentlich-rechtliche Körperschaften verfassten Religionsgemeinschaften von erheblicher Bedeutung. Vor der Gesetzesreform konnten z.B. im Rahmen von Strukturreformen der Verwaltung, die mit der Übertragung von Aufgaben auf einen neuen Rechtsträger und beabsichtigtem künftigen Einsatz der Beschäftigten bei diesem verbunden sind (nach dem Grundsatz "Personal folgt der Aufgabe"), erhebliche Unklarheiten in Bezug auf die Anwendung des AÜG entstehen.
II. Entstehungsgeschichte und Hintergrund der Bereichsausnahme
Rz. 39
Ausgangspunkt der Neuregelung einer Bereichsausnahme für den öffentlichen Dienst war eine Gesetzesinitiative der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, die Ende Oktober 2013 einen entsprechenden Entschließungsantrag in den Bundesrat einbrachten. Der vom Bundesrat angenommene Antrag zielte darauf ab, die Personalgestellung im öffentlichen Dienst generell aus dem Anwendungsbereich des AÜG auszunehmen oder zumindest für öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften ein vereinfachtes und kostenfreies Verfahren für die Erteilung einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung einzurichten. Mit dem Referentenentwurf des BMAS vom 16.11.2015 fand der Vorstoß in abgewandelter Form Eingang in das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Im weiteren Verlauf wurde der Vorschlag ohne größere Änderungen in den Gesetzesentwurf der Bundesregierung übernommen. Nicht berücksichtigt wurde ein Ersuchen des Bundesrates, die Personalgestellung zwischen schulischen Einrichtungen und ihren außerschulischen Kooperationspartnern aufgrund der Verfolgung rein ideeller Ziele vollständig aus dem Anwendungsbereich des AÜG herauszunehmen, so dass hier keine gesetzlichen Besonderheiten gelten.
Rz. 40
Die Aufnahme einer Bereichsausnahme in das AÜG war aus Sicht der Bundesländer notwendig geworden, nachdem mit dem AÜG-Änderungsgesetz aus dem Jahr 2011 das Merkmal der gewerbsmäßigen Überlassung als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Gesetzes aufgegeben wurde. Seither bestimmt § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG, dass das Gesetz auf Überlassungen von Verleihern im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit Anwendung findet. Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG wird in Anlehnung an das vom EuGH im Wettbewerbsrecht entwickelte Verständnis weit ausgelegt. Unter der wirtschaftlichen Tätigkeit wird jede Tätigkeit verstanden, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten. Erfasst ist hiernach praktisch jede Teilnahme am Wirtschaftsverkehr, unabhängig davon, ob Erwerbszwecke verfolgt werden, so dass prinzipiell auch die öffentliche Hand hiervon betroffen ist. Jüngst hat der 7. Senat des BAG die Frage aufgeworfen, ob in den Fällen der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD durch einen öffentlichen Arbeitgeber an einen Dritten, auf den zuvor Aufgaben des betroffenen Arbeitnehmers verlagert wurden, das Merkmal der "wirtschaftlichen Tätigkeit" erfüllt...