Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 296
Nach dem Willen des Gesetzgebers ist das Einsatzverbot auf den Einsatz zum "Streikbruch" begrenzt. Dies will § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG dadurch gewährleisten, dass das Einsatzverbot nicht gilt, wenn der Leiharbeitnehmer mit Tätigkeiten befasst ist oder diese übernimmt, die nicht vom streikbedingten Ausfall betroffen sind. Indem § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG von der "Übernahme" von Tätigkeiten durch den Leiharbeitnehmer spricht, wird gleichzeitig deutlich, was den Leiharbeitnehmer als "Streikbrecher" qualifiziert: Er kompensiert den streikbedingten Entfall von Tätigkeiten und ersetzt damit den streikenden Stammarbeitnehmer, indem er dessen Tätigkeit übernimmt. Wenig verständlich ist, dass der Gesetzgeber den eigentlichen Kern des Einsatzverbotes, einen Streikbruch durch Leiharbeitnehmer zu unterbinden, zu einer bloßen Ausnahme "degradiert", deren Vorliegen zudem durch den bestreikten Entleiher im Arbeitskampf "sichergestellt" werden muss. Mit anderen Worten: dem bestreikten Entleiher wird die Beweislast aufgebürdet, dass Leiharbeitnehmer nicht Tätigkeiten übernehmen, die vom streikbedingten Ausfall betroffen sind. Dies ist für den Entleiher vor dem Hintergrund, dass sich der Entleiher im Arbeitskampf regelmäßig in einer Ausnahmesituation befindet und ein Verstoß gegen das Einsatzverbot mit Bußgeldern belegt werden kann, nicht unproblematisch.
Praxishinweis
Die Beschränkung des Einsatzverbotes auf den Streikbruch bezieht sich auf zwei Konstellationen. Die Erledigung von streikbedingt ausgefallenen Tätigkeiten ist nicht nur im Hinblick auf diejenigen Stammarbeitskräfte untersagt, die sich selbst im Arbeitskampf befinden (Nr. 1). Vielmehr gilt dies auch für solche Tätigkeiten, die streikbedingt gar nicht ausfallen, indes von Stammarbeitskräften übernommen werden, die ihrerseits streikbedingt ausgefallene Tätigkeiten übernehmen (Nr. 2). Die Beschränkung des Einsatzverbots auf den Streikbruch gewinnt durch diesen Doppeltatbestand an zusätzlicher Komplexität, was weitere Schwierigkeiten für den Entleiher verursacht.
aa) Übernahme streikbedingt ausgefallener Tätigkeit
Rz. 297
Das Einsatzverbot von Leiharbeitnehmern greift nur, soweit der Leiharbeitnehmer Tätigkeiten übernehmen soll, die streikbedingt ausfallen. Dies folgt aus § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG, der das Einsatzverbot dann ausschließt, wenn eine Übernahme solcher Tätigkeiten nicht erfolgt. Durch den Begriff der "Übernahme" ist klargestellt, dass das Einsatzverbot nicht allgemein tätigkeitsbezogen gilt, sondern nur wenn der Leiharbeitnehmer mit Tätigkeiten befasst wird, deren streikbedingten Ausfall er kompensieren würde. Daher greift das Einsatzverbot nicht, wenn der Leiharbeitnehmer zwar mit derartigen Tätigkeiten befasst ist, dies jedoch auch bereits zuvor der Fall war. Denn dann "übernimmt" er keine streikbedingt ausgefallene Tätigkeit, er führt sie schlicht fort. Maßgeblich ist, ob der Leiharbeitnehmer als Ersatzkraft eingesetzt wird und so streikbedingt ausgefallene Tätigkeiten auffängt. Zwar ist die Vorschrift tätigkeits- und nicht arbeitsplatzbezogen. Maßgeblich ist damit die konkrete Tätigkeit und nicht der gesamte Arbeitsplatz. Auch sind alle Tätigkeiten, aus denen sich der Arbeitsplatz zusammensetzt, einzeln zu bewerten. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, der von "Tätigkeiten" spricht. Der Entleiher muss damit im Grundsatz jede einzelne Tätigkeit der Leiharbeitnehmer dahingehend überprüfen und abgleichen, inwieweit diese Tätigkeit bisher von einem im Streik befindlichen Arbeitnehmer oder einem intern "in der Kette" eingesetzten Arbeitnehmer erledigt wurde und streikbedingt entfallen ist. Eine Abgrenzung von einzelnen Tätigkeiten ist häufig nur sehr schwer möglich, oft überschneiden sie sich. Nicht selten wird es zu eigenverantwortlichen spontanen und vorübergehenden Tätigkeitserweiterungen durch den Leiharbeitnehmer kommen, die vom Entleiher – zumal in der Situation des Arbeitskampfes – nicht zu kontrollieren sind. Problematisch ist eine Abgrenzung auch dann, wenn von mehreren Mitarbeitern mit gleichen Tätigkeiten einige streiken, andere bspw. urlaubs- oder krankheitsbedingt fehlen. Trotz der tätigkeitsbezogenen Sichtweise und Abgrenzung ist es im Ergebnis dann nicht als Übernahme einer streikbedingt ausgefallenen Tätigkeit zu qualifizieren, wenn die vom Leiharbeitnehmer verrichtete Tätigkeit nicht einen streikbedingten Ausfall kompensiert.
Wenn der Gesetzgeber mit der Regelung des § 11 Abs. 5 AÜG bezweckt, den Einsatz von Leiharbeitnehmern zum "Streikbruch" zu unterbinden, wird man auch aus verfassungsrechtlichen Gründen gehalten sein, das Einsatzverbot unbeschadet der weitgehenden Formulierung von § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG auf ihren eigentlichen Kern zurückzuführen. Der Zweck des Einsatzverbotes würde ausgeblendet, wenn jeder einzelne Ausschnitt einer durch den Arbeitskampf ausgefallenen Tätigkeit allgemein nicht mehr von einem Leiharbeitnehmer verrichtet werden dürfte. Es ist vielmehr entscheidend, ob der Leiharbeitnehmer als "Ersatzkraft" für die arbeitskampfbe...