Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 315
Macht der Leiharbeitnehmer sein Leistungsverweigerungsrecht geltend, ist er von der Pflicht zur Arbeitsleistung gegenüber dem Verleiher für die Dauer des Arbeitskampfes beim Entleiher befreit. Der Verleiher kann ihn dann gegebenenfalls bei einem anderen Entleiher einsetzen. Aus dem Überlassungsvertrag kann folgen, dass der Verleiher verpflichtet ist, dem Entleiher eine Ersatzkraft zu stellen.
aa) Vergütung des Leiharbeitnehmers
Rz. 316
Macht der Leiharbeitnehmer von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch, so verliert er nach vorzugswürdiger Ansicht seinen Anspruch auf die Vergütung. Zwar geht die bislang herrschende Meinung zur Vorläuferregelung davon aus, dass der Verleiher nach § 615 S. 3 BGB (Betriebsrisikolehre) zur Zahlung der Vergütung verpflichtet bleibt. Nachdem das Leistungsverweigerungsrecht nunmehr, da es ergänzend zum Einsatzverbot gilt, stets auf eine Erweiterung der Streikfolgen gerichtet ist, besteht umso weniger die Rechtfertigung, dem Verleiher bzw. mittelbar dem Entleiher das Vergütungsrisiko aufzubürden. Vielmehr ist der Leiharbeitnehmer, der sein Leistungsverweigerungsrecht ausübt, nicht anders zu behandeln als ein streikender Kollege der Stammbelegschaft.
Rz. 317
Im Übrigen lässt sich auch dogmatisch eine Aufrechterhaltung der Vergütungspflicht des Verleihers kaum begründen. So hat der Gesetzgeber bspw. in § 14 AGG ein eigenes Leistungsverweigerungsrecht geschaffen und dabei – anders als in § 11 Abs. 5 S. 3 AÜG – ausdrücklich formuliert, dass das Arbeitsentgelt dennoch zu zahlen ist. Erbringt der Leiharbeitnehmer in Folge der Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts seine Arbeitsleistung nicht, so tritt wegen des Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) ein. Der Arbeitgeber wird gleichfalls von seiner Leistungspflicht (Vergütungszahlung) im Grundsatz befreit (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB – "ohne Arbeit kein Lohn"). Auch wenn man das Leistungsverweigerungsrecht in § 11 Abs. 5 S. 3 AÜG als gesetzlich normierten Fall des § 275 Abs. 3 BGB versteht, so ändert dies nichts an dem Wegfall des Vergütungsanspruchs. Die Möglichkeit, die Arbeitsleistung zu verweigern, führt nicht zur Unwirksamkeit der Zuweisung der Arbeit im Entleiherbetrieb. Annahmeverzugslohnansprüche scheiden aus, da sie neben der objektiven Leistungsfähigkeit stets auch die subjektive Leistungswilligkeit voraussetzen. Macht der Leiharbeitnehmer im Arbeitskampf von seinem Leistungsverweigerungsrecht nach § 11 Abs. 5 S. 3 AÜG Gebrauch, besteht – wie bei streikenden Stammarbeitskräften – eine Leistungswilligkeit gerade nicht. Insoweit ist auch für eine Anwendung von § 615 S. 3 BGB (Betriebsrisiko) kein Raum, denn auch dieser erfordert die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers (§ 297 BGB). Im Übrigen ist es nicht ersichtlich, wie die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts dem allgemeinen Betriebsrisiko des Verleihers zugewiesen werden kann. Anders als beim Einsatzverbot ist Grundlage des Ausbleibens der Arbeitsleistung nicht ein gesetzgeberisches Verbot, sondern eine freie Entscheidung des Leiharbeitnehmers. Mit ihr verwirklicht sich nicht ein dem Verleiher zugewiesenes Risiko. Vielmehr ist der Leiharbeitnehmer, der wegen des Streikes die Arbeitsleistung verweigert, in der gleichen Situation wie ein streikender Stammarbeitnehmer, der sein Recht nach Art. 9 Abs. 3 GG wahrnimmt.
bb) Überlassungsvergütung
Rz. 318
Verneint man nach den vorstehenden Ausführungen richtigerweise einen Anspruch des Leiharbeitnehmers auf Vergütung während der Dauer der Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts, so entfällt gleichzeitig der Anspruch des Verleihers gegen den Entleiher auf die Überlassungsvergütung. Der Verleiher hat dem Entleiher einen "leistungsbereiten" Leiharbeitnehmer zu überlassen. Kann der Verleiher seiner Pflicht nicht nachkommen, entfällt seine Leistungspflicht wegen ihres Fixschuldcharakters nach § 275 Abs. 1 BGB und zugleich sein Vergütungsanspruch nach § 326 Abs. 1 BGB.