Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
1. Zuständigkeit der Tarifparteien der Einsatzbranche
Rz. 107
Die Überlassungshöchstdauer ist nach § 1 Abs. 1b S. 3–7 AÜG tarifdispositiv ausgestaltet. Gemäß § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG kann durch oder aufgrund eines Tarifvertrags der Einsatzbranche eine von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Bei einer solchen Regelung handelt es sich um eine Betriebsnorm im Sinne der §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 TVG. Die Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer wird für alle in den Betrieben der Entleiherbranchen eingesetzten Leiharbeitnehmer unabhängig von der Tarifbindung der Leiharbeitnehmer einheitlich geregelt. Damit wählt der Gesetzgeber einen anderen Weg als bei der Tarifdispositivität des Gleichstellungsgrundsatzes nach § 8 AÜG, bei dem die Tarifparteien der Zeitarbeitsbranche für etwaige Abweichungen zuständig sind (hierzu Rdn 174 ff.). In der Folge können in den Zeitarbeitstarifverträgen der Verleiherbranche keine Abweichungen von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer vereinbart werden, selbst wenn die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche keine diesbezügliche Regelung getroffen haben. Dies wird von Teilen der Literatur als "Tarifentmündigung" der Verleiherbranche und unzulässiger Eingriff in die nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie angesehen. Hiergegen wird eingewandt, dass durch einen von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer abweichenden Tarifvertrag der Einsatzbranche nicht die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer geregelt würden, sondern sich die Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG sowohl an den Verleiher wie auch den Entleiher richte und abweichende tarifliche Regelungen sich lediglich reflexartig auf das Arbeitsverhältnis der Leiharbeitnehmer auswirkten. Letztlich wird diese Frage das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden haben. Europarechtlich bestehen gegen die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien der Entleiherbranche nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Daimler keine Bedenken (hierzu oben Rdn 77).
Rz. 108
Praxishinweis
Da es für die Abweichung von der Überlassungshöchstdauer auf die tariflichen und/oder betrieblichen Regelungen im Einsatzbetrieb ankommt, sollte der Verleiher eine entsprechende Mitteilungspflicht des Entleihers in den Überlassungsvertrag aufnehmen.
Rz. 109
Durch die Zuständigkeit der Tarifparteien der Einsatzbranche wird bei der Abweichungsmöglichkeit von der Überlassungshöchstdauer das Problem der Tarifzuständigkeit abgemildert. Es ist nach wie vor nicht abschließend geklärt, ob und inwieweit die DGB-Gewerkschaften nach ihren jeweiligen Satzungen für die Zeitarbeitsbranche tarifzuständig sind. Diese Frage stellt sich sowohl für die Zeitarbeitstarifverträge der DGB-Tarifgemeinschaft wie auch für die Branchenzuschlagstarifverträge der einzelnen DGB-Gewerkschaften. Demgegenüber dürften an der Tarifzuständigkeit der DGB-Gewerkschaften für den Abschluss von entleiherbezogenen Regelungen zum Einsatz von Leiharbeitnehmern mit den Tarifpartnern der Entleiherbranche keine Zweifel bestehen. Die Herausforderung für die Tarifpartner wird eher darin liegen, den Geltungsbereich etwaiger tarifvertraglicher Regelungen so bestimmt zu fassen, dass Abgrenzungsschwierigkeiten wie bei den Branchenzuschlagstarifverträgen nach Möglichkeit vermieden werden.
2. Abweichungen durch Tarifvertrag
a) Inhaltliche Anforderungen an eine tarifvertragliche Regelung
Rz. 110
Die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche können nach § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG eine von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer festlegen. Dies ermöglicht eine Verlängerung und eine Verkürzung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer. Auch wenn dies nicht ausdrücklich geregelt ist, sind mit der Öffnungsregelung erst recht auch tarifliche Abweichungen von der Anrechnungsregel des § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG möglich. Die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht eingeschränkt. In den Gesetzesmaterialien ist lediglich klargestellt, dass bei einer Verlängerung der Überlassungshöchstdauer eine zeitlich bestimmte Obergrenze sichergestellt sein müsse, um den vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung zu gewährlei...