Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
I. Übermaß an Sanktionen
1. Einleitung
Rz. 419
Das seit dem 1.4.2017 geltende AÜG enthält gegenüber dem AÜG a.F. erheblich verschärfte Sanktionen im Falle von Verstößen. Hiergegen sind vielfach verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden. Kritisiert werden insbesondere die z.T. unklaren Definitionen der gesetzlichen Regelungen – z.B. zu Equal Treatment – sowie die häufige "Mehrfachsanktionierung" von Verstößen.
Der Gesetzesentwurf hätte eine "Kriminalisierung" der Zeitarbeitsbranche zur Folge. Zudem könnten bereits kleine Fehler zum Entzug der Erlaubnis führen und damit existenzbedrohende Auswirkungen für Zeitarbeitsunternehmen haben, was im Koalitionsvertrag vom 27.11.2013 so nicht vorgesehen war. Um das gesetzliche Ziel der Rückbesinnung der Zeitarbeit auf ihre Kernfunktionen zu erreichen und Missbräuche zu bekämpfen, bedürfe es solch weitreichender Sanktionen nicht.
2. Kern-Kritikpunkte
a) Mehrfachsanktionierung
Rz. 420
Bei Verstößen gegen den Grundsatz des Equal Treatment sieht das AÜG als Sanktionen ein Bußgeld in Höhe von bis zu 500.000 EUR (§ 16 Abs. 1 Nr. 7a, Abs. 2 AÜG) sowie die Versagung bzw. den Widerruf der Erlaubnis (§§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG) vor.
Kritisiert wird hier u.a., dass die tarifvertragliche Abweichungsmöglichkeit von EqualTreatment durch das neue AÜG eingeschränkt wird. Die praktische Relevanz des Equal Treatment wird dadurch deutlich zunehmen. Mangels gesetzlicher Definition des "Arbeitsentgelts" dürfte eine hundertprozentig zutreffende Ermittlung des nach dem Grundsatz des Equal Treatment zu zahlenden Entgelts in der Praxis oft nicht möglich und Verstöße somit unvermeidbar sein. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn dem Leiharbeitnehmer die ihm nach § 8 AÜG zustehenden Arbeitsbedingungen nicht gewährt werden. Der Behörde ist somit kein Ermessen eingeräumt. Dem Verleiher droht damit schon bei leichten Verstößen ein Erlaubnisentzug. Hierin wird z.T. ein de facto Berufsverbot gesehen. Überdies wird die Bußgeldsumme von bis zu 500.000 EUR in einer mittelständisch geprägten Branche z.T. als für eine Vielzahl der Verleiher existenzgefährdend angesehen.
Rz. 421
Für das Überschreiten der Höchstüberlassungsdauer sieht das AÜG gleich drei Sanktionen vor, ein Bußgeld in Höhe von bis zu 30.000 EUR (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1e, Abs. 2 AÜG), die Versagung bzw. den Widerruf der Erlaubnis (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG) sowie die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG). Hier wird vor allem der Erlaubnisentzug als mögliche Sanktionierung nach bereits nur einem Verstoß kritisiert, da dies – wie bereits bei der Nichtbeachtung von Equal Treatment – einem Berufsverbot gleichkäme.
Rz. 422
Aber auch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher unabhängig vom Grund für die Überschreitung und unabhängig von der Dauer der Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer wird teilweise als unverhältnismäßig schwerer Eingriff in die Vertragsfreiheit und Privatautonomie angesehen. Denn im Fall der erlaubten, nicht verdeckten Arbeitnehmerüberlassung sei eine solche Sanktionierung zum Schutz des Leiharbeitnehmers nicht erforderlich. Diesbezüglich wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auch kritisiert, dass laut der Begründung des Regierungsentwurfs mit der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses (unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BAG vom 10.12.2013) der Rechtsprechung des BAG zu den Rechtsfolgen einer nicht nur vorrübergehenden Arbeitnehmerüberlassung Rechnung getragen werde. Das BAG hatte in der Entscheidung vom 10.12.2013 allerdings gerade festgestellt, dass keinerlei Sanktionierung erfolgt und ausgeführt, dass die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit eingreifen würde und daher verfassungsrechtlich bedenklich sei.
Rz. 423
Eine Mehrfachsanktionierung erfolgt schließlich auch bei Verstößen gegen das Verbot der K...