Rz. 6
Wie bereits dargestellt (siehe Rdn 2), unterscheiden sich Allgemeine Geschäftsbedingungen von Individualvereinbarungen durch ein strukturelles Verhandlungsungleichgewicht zugunsten des Verwenders. Rechtsprechung und Lehre haben deshalb Auslegungsregeln entwickelt, die dieser speziellen Situation bei der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen Rechnung tragen. Durch die Regelung in § 305 lit. c Abs. 2 BGB wird dem Verwender das Risiko der Verständlichkeit seiner Vertragsbedingungen auferlegt (siehe hierzu § 4 Rdn 135).
Rz. 7
Die mit der Unklarheitenregelung vorgenommene Risikoverteilung zulasten des Verwenders beruht auf der Erwägung, dass es Sache des Verwenders ist, sich klar und unmissverständlich auszudrücken. Die Vorschrift ist anwendbar, wenn unter Zugrundelegung sämtlicher in Betracht kommender, rechtlich vertretbarer Auslegungsmethoden eine nicht behebbare Ungewissheit über den Inhalt oder die Reichweite einer Vertragsklausel besteht. Dies ist grundsätzlich schon dann anzunehmen, wenn keine Auslegung den klaren Vorzug verdient. Völlig fernliegende Auslegungen, von denen eine nachteilige Auswirkung auf den Rechtsverkehr nicht zu erwarten ist, sind dabei nicht zu berücksichtigen (siehe § 4 Rdn 188). Weist die Vertragsbedingung dagegen einen bei objektiver Auslegung zweifelsfreien Inhalt auf oder haben sich die Parteien übereinstimmend in einem bestimmten Sinn verstanden, ist der Anwendungsbereich des § 305 lit. c Abs. 2 BGB nicht eröffnet.
Rz. 8
Rechtsfolge des § 305 lit. c Abs. 2 BGB ist, dass zugunsten des Vertragspartners von der für ihn günstigeren Auslegung der Vertragsklausel auszugehen ist. Zur Ermittlung der günstigeren Auslegung wird in der neueren Rechtsprechung ein dreistufiges Prüfungsmodell angewandt, bei dem zunächst die Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit der betreffenden Vertragsbedingung festgestellt wird (erste Stufe). Ist die Vertragsbedingung einer Auslegung zugänglich, ist in einem weiteren Schritt die Auslegung zu ermitteln, die sich für den Vertragspartner im Ergebnis am günstigsten auswirkt (zweite Stufe). Da die Vertragsbedingungen einseitig von dem Verwender gestellt werden und regelmäßig diesen begünstigende Inhalte aufweisen, ist häufig die für den Vertragspartner günstigste Auslegung die, die zur Unwirksamkeit der Vertragsbedingung führt. Durch das Eingreifen des (gewöhnlich) ausgewogeneren dispositiven Rechts (§ 306 Abs. 2 BGB; siehe § 4 Rdn 205 ff.) wird für den Vertragspartner eine Situation hergestellt, die seinen Interessen gerecht wird. Dementsprechend ist zunächst die kundenfeindlichste Auslegung heranzuziehen, die, wenn sie zur Unwirksamkeit der Klausel führt, gleichzeitig die kundenfreundlichste Auslegung sein kann. Führt die Auslegung dagegen nicht zur Unwirksamkeit der Vertragsbestimmungen, ist in einem dritten Schritt die kundenfreundlichste Auslegung zu ermitteln (dritte Stufe).
Rz. 9
Im Übrigen richtet sich die Frage der Günstigkeit nach den erkennbaren Interessen des Vertragspartners und einem Vergleich von dessen Rechtsstellung nach den jeweils vorgenommenen Auslegungen der unklaren Vertragsklausel.
Rz. 10
Ist die Klausel nicht bloß zweifelhaft, sondern insgesamt unverständlich, so ist sie sowohl nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (siehe Rdn 455 ff.) als auch nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB (siehe § 4 Rdn 30 ff.) unwirksam, da der Verwender dem Vertragspartner nicht die Möglichkeit verschafft hat, in zumutbarer Weise von der Vertragsbedingung Kenntnis zu nehmen.