Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
I. Schlichtungsgesetze
Rz. 35
Schlichtungsgesetze haben die Bundesländer Bayern (BaySchlG), Brandenburg (BbgSchlG), Hamburg (ÖRA-Gesetz), Hessen (HSchlG HE), Mecklenburg-Vorpommern (SchStG M-V), Niedersachsen (NSchlG), Nordrhein-Westfalen (§§ 10 ff. GüSchlG NRW), Sachsen (SächsSchiedsGütStG), Sachsen-Anhalt (§§ 34a ff. SchStG), Schleswig-Holstein (LSchliG) und das Saarland (LSchlG) eingeführt.
Rz. 36
Baden-Württemberg hat durch Gesetz vom 19.4.2013 das Schlichtungsgesetz außer Kraft treten lassen. Der Anwaltsverband hatte den obligatorischen Charakter kritisiert, die Regelungen hätten sich wegen mangelnder Dialogbereitschaft der Gegenseite als nicht praxisnah erwiesen. Für viele Antragsteller sei nur überflüssiger zeitlicher und finanzieller Aufwand entstanden.
Rz. 37
Für bestimmte Klageverfahren wird durch die genannten Schlichtungsgesetze gemäß § 15a Abs. 1 EGZPO zwingend ein vorheriger Schlichtungsversuch vorgeschrieben. Wird – sofort – geklagt, ohne dass eine von einer Gütestelle ausgestellte Bescheinigung vorgelegt wird, ist die Klage unzulässig. Das Schlichtungsverfahren kann auch nicht während des Prozesses nachgeholt werden. Art und Umfang des Verfahrens unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland.
Rz. 38
Die anwaltliche Vertretung in einem obligatorischen Güteverfahren nach § 15a EGZPO stellt gebührenrechtlich eine eigene Angelegenheit mit einer nach Nr. 2303 VV RVG anfallenden 1,5-Geschäftsgebühr dar. Der Mandant ist – um ein Haftungsrisiko zu vermeiden – darauf hinzuweisen, dass ihm diese (Vorbereitungs-)Kosten des späteren Rechtsstreits später nicht als Prozesskosten erstattet werden. Ggf. kann ein materiellrechtlicher Ersatzanspruch nach den allgemeinen Grundsätzen in Betracht kommen.
1. Reichweite der Schlichtungsgesetze
Rz. 39
Die Schlichtungsgesetze betreffen nur einige wenige Prozessarten, u.a.:
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bestimmte private nachbarrechtliche Streitigkeiten (Überhang von Sträuchern und Bäumen, Hinüberfall von Früchten, Grenzbäume und Immissionen); anders, wenn es sich um Einwirkungen von einem gewerblichen Betrieb handelt oder |
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Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind. |
Rz. 40
Der Anwendungsbereich für das Schlichtungsverfahren wird nochmals dadurch eingeschränkt, dass es auf bestimmte Rechtsstreitigkeiten von vornherein nicht anwendbar ist, u.a.:
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wenn die Parteien ihren Wohn-/Geschäftssitz (oder eine Niederlassung) in verschiedenen Bundesländern haben, |
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wenn die Forderung vorab im Mahnverfahren geltend gemacht wurde, |
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wenn Ansprüche im Urkunden- oder Wechselprozess geltend gemacht werden, |
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bei Klagen, mit welchen beantragt wird, ein Urteil, einen Vergleich oder eine Urkunde abzuändern, |
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bei Widerklagen des Beklagten im laufenden Prozess, |
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bei Klagen, die innerhalb einer gesetzlichen oder gerichtlich angeordneten Frist erhoben werden müssen und |
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bei Klagen wegen vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen. |
2. Gütestellenverfahren
Rz. 41
Eine Gütestelle ist eine staatlich anerkannte Stelle mit Befugnis zur außergerichtlichen einvernehmlichen Beilegung von Streitigkeiten. Im Unterschied zum Schiedsgericht darf die Gütestelle kein Urteil und keinen Beschluss fällen. Aufgabe der Gütestelle ist (nur) die Vermittlung zwischen den Parteien bei einem bereits bestehenden Streit mit dem Ziel einer Einigung. Der Mittler moderiert und unterstützt die Parteien darin, eine gemeinsame Lösung zu finden.
Rz. 42
Ein Vorteil ist, dass der Streitschlichter von vornherein feststeht (oder aus einer bestimmten Liste ausgewählt werden kann). Damit kann eine Gütestelle gefunden werden, der beide Seiten vertrauen. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass ein schnelles – die zulässige Dauer eines Schlichtungsverfahrens ist auf drei Monate begrenzt, § 15a Abs. 1 S. 3 EGZPO – und kostengünstiges Ergebnis erzielt werden kann. Die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens gibt den Parteien die Möglichkeit, die streitigen Punkte offen miteinander zu besprechen.
a) Qualifikation der Gütestelle
Rz. 43
Als Gütestelle können – auf deren Antrag – Personen anerkannt werden, welche Streitschlichtung als dauerhafte Aufgabe betreiben und welche die Gewähr für eine objektive und qualifizierte Schlichtung bieten. Das sind insbesondere Rechtsanwälte, welche die Qualifikation zum Mediator haben; es kommen aber auch Sachverständige in Betracht.
Rz. 44
Eine Gütestelle muss neutral, unabhängig und unparteilich geführt werden. Dies schließt aus, dass der Rechtsanwalt eine der Parteien vertritt oder berät, soweit es um den Gegenstand des Verfahren...