Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 411
Für Geldansprüche, deren anspruchsbegründenden Tatsachen sich aus einer in den Händen des Klägers befindlichen Urkunde ergeben, bietet die ZPO mit dem Urkundenprozess gemäß §§ 592 ff. ZPO ein beschleunigtes Verfahren. Aus dem Urteil kann ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckt werden, § 708 Nr. 4 ZPO. Die Beschleunigung wird durch die beschränkte Sachprüfung erreicht. Der Kläger hat seinen Anspruchsgrund durch Urkunden zu beweisen, § 592 S. 1 ZPO. Als Urkunden kommen Schuldversprechen, Schuldanerkenntnisse, schriftlich niedergelegte Verträge, Wechsel oder Schecks in Betracht. Der Beklagte muss seine Einwendungen mit den zugelassenen Beweismitteln der Urkunde oder der Parteivernehmung beweisen, §§ 595 Abs. 2, 598 ZPO. Der Wechsel- und Scheckprozess sind Abarten des Urkundenprozesses. Bei den anderen Urkundsprozessen mahnt die mögliche Schadensersatzpflicht nach §§ 600 Abs. 2, 302 Abs. 4 S. 3 ZPO zur anwaltlichen Vorsicht. § 703a ZPO regelt die Besonderheiten für das Urkunden-, Wechsel- und Scheckmahnverfahren.
I. Vorteile
Rz. 412
Eine Klage im Urkundenprozess ist empfehlenswert,
▪ |
wenn für den Mandanten schnell ein Urteil erwirkt werden und |
▪ |
der Titel ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar sein soll, |
▪ |
der Beklagte wahrscheinlich nicht ins Nachverfahren übergehen wird oder |
▪ |
zu erwarten ist, dass das (Vorbehalts-)Urteil aufrechterhalten bleibt. |
Rz. 413
Ein weiterer Vorteil des Urkundenprozesses besteht darin, dass der Beklagte keine Widerklage erheben kann, § 595 Abs. 1 ZPO.
II. Besonderheiten der Klageschrift
Rz. 414
Für die Klageschrift ist Folgendes zu beachten:
▪ |
In Landgerichtsprozessen ist die Kammer für Handelssachen zuständig, wenn es sich um Ansprüche aus Scheck oder Wechsel handelt, bei sonstigen Klagen aus Urkunden nur, wenn beide Parteien Kaufleute sind. |
▪ |
Zu erklären ist gemäß § 593 Abs. 1 ZPO, dass im Urkundsprozess geklagt wird. Diese Erklärung kann nicht nachgeholt werden. |
▪ |
Die Urkunden, aus welchen sich der Anspruch ergibt, sind in Abschrift zu überreichen, § 593 Abs. 2 S. 1 ZPO. Im Termin muss die Urkunde im Original vorgelegt werden, andernfalls ist der Urkundenprozess unstatthaft, selbst bei Säumnis des Beklagten. Wenn die Urkunde als Anlage zur signierten Klagebegründung über beA eingereicht und dementsprechend dem Beklagten zugestellt wird, ist damit den Formvorschriften Genüge getan. Nach § 130a Abs. 3 ZPO muss zwar das elektronische Dokument mit einer qualifizierten Signatur der verantwortenden Person versehen oder von der verantwortenden Person signiert sein, dies gilt nach §§ 130a Abs. 3 S. 2, 253 Abs. 4 ZPO aber ausdrücklich nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen oder Klageschriften beigefügt sind. |
▪ |
Praktikabel ist es, die Urkunde stets mit der Klageschrift zu überreichen. Wurde die Urkunde in einem vorbereitenden Schriftsatz beigefügt, muss zwischen der Zustellung des Schriftsatzes und dem Termin zur mündlichen Verhandlung ein der Einlassungsfrist gleicher Zeitraum liegen, § 593 Abs. 2 S. 2 ZPO. |
▪ |
Falls der Kläger mehr als die Prozesszinsen verlangt, muss er auch die Zinsen durch Urkunden beweisen. |
▪ |
Der Kläger muss das Zustandekommen der Urkunde darstellen. Bestreitet der Beklagte die Echtheit der Urkunde, mithin seine Unterschrift, kommt für den Kläger noch der Antrag auf Parteivernehmung in Betracht. Ein Schriftsachverständigengutachten kann erst im Nachverfahren eingeholt werden. |
Rz. 415
Kann der Kläger den Urkundenbeweis letztendlich nicht erbringen, darf er jederzeit, auch ohne Einwilligung des Beklagten noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung – und sogar noch in der Berufung mit Einwilligung des Beklagten – vom Urkundenprozess Abstand nehmen, § 596 ZPO. Der Rechtsstreit bleibt dann im ordentlichen Verfahren anhängig.
Rz. 416
Das Vorbringen des Beklagten ist nur dann unbeachtlich, wenn es bestritten und von ihm nicht mit den zugelassenen Beweismitteln bewiesen werden kann. Es kann daher empfehlenswert sein, vorbeugend mit der Klage auf die außergerichtlich vorgebrachten Einwendungen (z.B. Anfechtung, Rücktritt, Aufrechnung usw.) einzugehen und entsprechenden Sachvortrag zu bestreiten, zumal nicht bestrittenes Vorbringen des Beklagten vom Gericht berücksichtigt wird.
III. Vorgehen des Beklagten
Rz. 417
Bei der Klageerwiderung im Urkundenprozess muss der Rechtsanwalt zunächst prüfen, ob Erfolgsaussichten im Ausgangs- oder erst im Nachverfahren bestehen. Sollte die Klage zulässig sein und der Beklage keine Einwendungen gegen die Echtheit der Urkunde haben, oder absehbar sein, dass der Beklagte seine Einwendungen nicht mit den im Urkundsprozess statthaften Beweismitteln wird beweisen können, ist zu empfehlen, den Anspruch im Urkundenprozess unter Vorbehalt der Rech...