Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 186
Das Gericht kann bei einem darauf gerichteten Beweisantritt auch ein Gutachten aus einem anderen Verfahren, z.B. einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, urkundenbeweislich verwerten (§ 411a ZPO). Es steht im Ermessen des Gerichts, ob ein Gutachten aus einem anderen Verfahren als Sachverständigengutachten beigezogen wird. Das Gericht hat die Parteien darüber zu informieren, dass es ein Gutachten beiziehen möchte. Weiter darf ein beigezogenes Gutachten nur dann verwertet werden, wenn es gemäß § 411a ZPO in das Verfahren eingeführt und dem Betroffenen Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Ausführungen des zu verwertenden Gutachtens in dem vorliegenden Verfahren Stellung zu nehmen. Verhandelt jedoch eine zuvor nicht zur Verwertung angehörte Partei nach Kenntnisnahme von der auf § 411 a ZPO gestützten Verwertung zur Sache und stellt Sachanträge, ohne die mangelnde Verwertbarkeit des früheren Gutachtens bzw. eine mangelnde Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu rügen, ist diese Partei gem. § 295 ZPO mit der Verfahrensrüge ausgeschlossen.
Man beachte auch BGH MDR 2000, 1148, 1149:
Zitat
Reichen die urkundenbeweislich herangezogenen Ausführungen nicht aus, so muss der Tatrichter, um die von einer Partei zum Beweisthema angestellten Überlegungen und die in ihrem Vortrag angesprochenen aufklärungsbedürftigen Fragen zu beantworten, einen Sachverständigen hinzuziehen und eine schriftliche oder mündliche Begutachtung anordnen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Behauptung der Partei in der urkundenbeweislich herangezogenen Begutachtung eine Stütze findet oder nicht. Der Urkundenbeweis darf nämlich nicht dazu führen, dass den Parteien das ihnen zustehende Recht, dem Sachverständigen Fragen zu stellen, verkürzt wird. Deshalb hat der Tatrichter eine schriftliche oder mündliche Begutachtung schon dann anzuordnen, wenn eine Partei zu erkennen gibt, dass sie von einem Sachverständigen die Beantwortung weiterer, das Beweisthema betreffender Fragen erwartet.
In einem Arzthaftungsprozess kommt auch die urkundenbeweisliche Verwertung des Gutachtens einer ärztlichen Gutachter- oder Schlichtungsstelle in Betracht; vgl. auch Rdn 282 ff.
Aber BGH NJW 2019, 2399:
Zitat
Das Gutachten einer medizinischen Schlichtungsstelle kann im Arzthaftungsprozess im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden. Dies führt aber weder zu einer Erhöhung der Darlegungslast des Patienten noch ist das Schlichtungsgutachten auf Beweisebene geeignet, den Sachverständigenbeweis zu ersetzen.
Das beigezogene Gutachten wird im Ergebnis wie ein im eigenen Verfahren eingeholtes Gutachten behandelt. Die §§ 404 ff. ZPO sind entsprechend anzuwenden.