Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 282
Ein Patient, der den behandelnden Arzt auf Schadensersatz in Anspruch nehmen will, gerät leicht in Beweisnot, weil ihm in aller Regel die medizinischen Fachkenntnisse fehlen und er auch nicht über die Krankenunterlagen verfügt. Hinzu kommt, dass die Kausalität des Behandlungsfehlers für einen später auftretenden Schaden häufig schwer festzustellen ist.
Ausgehend von einer Entscheidung des BVerfG, die die mangelnde Waffengleichheit aufgezeigt hat, hilft die Rspr. dem Patienten durch reduzierte Anforderungen an die Substantiierung seines Vorbringens (vgl. § 2 Rdn 78 ff.) sowie durch Beweiserleichterungen.
Hervorragend zusammengefasst in BGH NJW-RR 2019, 467, 468:
Zitat
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats sind an die Substanziierungspflichten des Patienten im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen zu stellen. Vom Patienten kann keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden. Ihm fehlt die genaue Einsicht in das Behandlungsgeschehen und das nötige Fachwissen zur Erfassung und Darstellung des Konfliktstoffs; er ist nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Die Patientenseite darf sich deshalb auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet.
Mit der eingeschränkten primären Darlegungslast des Patienten geht zur Gewährleistung prozessualer Waffengleichheit zwischen den Parteien regelmäßig eine gesteigerte Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 139 ZPO) bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 144 I 1 ZPO) von Amts wegen einher, soweit der Patient darauf angewiesen ist, dass der Sachverhalt durch ein solches aufbereitet wird.
Einschränkungen der Darlegungslast des Patienten können sich nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ferner insoweit ergeben, als der Patient außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihm eine nähere Substanziierung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall hat die Behandlungsseite nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast auf die Behauptungen des Patienten substanziiert, das heißt mit näheren Angaben zu erwidern, wenn ihr Bestreiten nach § 138 II und III ZPO beachtlich sein soll.
In der Kombination der genannten Grundsätze wird die erweiterte – sekundäre – Darlegungslast der Behandlungsseite im Arzthaftungsprozess ausgelöst, wenn die primäre Darlegung des Konfliktstoffs durch den Patienten den aufgezeigten maßvollen Anforderungen genügt und die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite gestattet, während es dieser möglich und zumutbar ist, den Sachverhalt näher aufzuklären. Letzteres wird bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes regelmäßig der Fall sein, entziehen sich doch sowohl die Existenz möglicher Infektionsquellen etwa in Gestalt weiterer Patienten oder verunreinigter Instrumente als auch die Maßnahmen, welche die Behandlungsseite im Allgemeinen und – bei Vorliegen konkreter Gefahrenquellen – im Besonderen zur Einhaltung der Hygienebestimmungen und zur Infektionsprävention unternommen hat, in aller Regel der Kenntnis des Patienten, während die Behandlungsseite ohne weiteres über die entsprechenden Informationen verfügt.
Seit 2013 ist der ärztliche Behandlungsvertrag in den §§ 630a ff. BGB neu geregelt worden. Die zentrale Haftungsnorm bei schuldhaften Pflichtverletzungen bleibt jedoch § 280 Abs. 1 BGB (vgl. Rdn 129 ff.); somit auch die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Vorschrift wird durch § 630h BGB ergänzt. § 630h BGB enthält zugunsten des Anspruchsstellers zahlreiche Beweislastumkehrregeln in den Abs. 1, 3–5.
Rz. 283
Von dem vertraglichen Haftungstatbestand ist der deliktische nach § 823 Abs. 1 BGB abzugrenzen. Während bei § 823 Abs. 1 BGB die Rechtswidrigkeit bei einer Rechtsgutsverletzung nach der h.L. des Erfolgsunrechts indiziert wird, muss die Rechtswidrigkeit beim Pflichtverletzungstatbestand im Arzthaftungsrecht genauer präzisiert werden. Zu unterscheiden sind einerseits Fehler bei der Selbstbestimmungsaufklärung gem. § 630d BGB, die die notwendige Einwilligung in die Behandlung entfallen lassen und somit grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit jedes Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit führen, und andererseits echte Behandlungsfehler, bei welchen der Anspruchssteller die Nichteinhaltung von medizinischen Standards, sowie die daraus haftungsbegründend-kausal erwachsende rechtswidrige Rechtsgutsverletzung beweisen muss. Letztere bezweckt somit den Gleichlauf von vertraglicher und deliktischer Arzthaftung.
a) § 630h Abs. 1 BGB
Rz. 284
Gem. § 630...