Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 1
Das Gericht kann über die Berechtigung des Anspruchs einer Partei nur entscheiden, wenn es zuvor den Sachverhalt festgestellt hat. Bei dessen Feststellung sind den Parteien umfassende Mitwirkungsrechte eingeräumt. Sie legen durch ihren Sachvortrag nicht nur den Streitstoff fest, sondern bestimmen durch ihre Beweisanträge auch weitgehend, wie streitiger Sachverhalt geklärt wird. Nur entscheidungserheblicher streitiger Sachverhalt kann Gegenstand der Beweiserhebung sein.
Die Parteien sind die Herren des Verfahrens. Sie geben dem Gericht vor, was Grundlage seiner Entscheidung sein darf und mit welchen Mitteln streitiger Sachverhalt zu klären ist.
Die Parteien haben ein Recht auf Beweis. Das Gericht kann nicht deshalb von einer Beweiserhebung über streitiges, entscheidungserhebliches Vorbringen absehen, weil der Parteivortrag wenig wahrscheinlich, der Beweisführer oder auch das Beweismittel unglaubwürdig ist, vgl. auch § 2 Rdn 43 ff.
Rz. 2
Das Gericht kann den Parteien nicht aufgeben, wie sie den Beweis zu führen haben:
BGH ZIP 1997, 199, 201:
Zitat
Mit Erfolg rügt die Revision auch, dass das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf Verzugszinsen in Höhe von 10,25 % abgewiesen hat, ohne zur Höhe der von ihr gezahlten Kreditzinsen die als Zeugin benannte Leiterin ihres Rechnungswesens zu vernehmen. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Beklagte ihren Zinsschaden gemäß § 288 Abs. 2 BGB [a.F.] nach den allgemeinen Regeln durch den Nachweis der Kreditaufnahme und der Höhe der dafür geschuldeten Zinsen beweisen muss […]. Die Möglichkeit, den Nachweis der Kreditaufnahme durch die Vorlage von Bankauszügen und Darlehensurkunden zu führen, schließt entgegen der anscheinend von dem Berufungsgericht vertretenen Annahme die Zulässigkeit des Zeugenbeweises nicht aus. Ist der Beweis ordnungsgemäß angetreten, besteht eine Pflicht zu seiner Erhebung.
I. Nicht alles, was streitig ist, bedarf des Beweises
Rz. 3
Die Beweiserhebung ist eine entscheidende Phase des Zivilprozesses. Hier kommt es am häufigsten zu Auseinandersetzungen zwischen Gericht, Anwalt und Partei. Hier werden durch geschicktes Agieren des Anwaltes Prozesse gewonnen, aber ebenso leicht auch verloren, wenn dem Anwalt die Freiheit und Grenzen des Richters in der Aufklärung des Sachverhaltes nicht bewusst sind und er deshalb auf überraschend auftretende neue Prozesslagen nicht angemessen zu reagieren weiß.
Rz. 4
Die Sachverhaltsaufklärung birgt immer Risiken für die Parteien in sich, weil Unwägbarkeiten ins Spiel kommen, die der Anwalt nur begrenzt kontrollieren kann. Dazu gehören die Ungeschicklichkeit des eigenen Mandanten, die Unwahrhaftigkeit von Zeugen und die Würdigung des Beweisergebnisses durch den Richter. Diese Risiken werden vermieden, wenn es dem Anwalt gelingt, dem Gericht einen Weg aufzuzeigen, wie es trotz streitigen Parteivorbringens ohne Beweiserhebung zu einem abschließenden Urteil gelangen kann.
Denn es ist zwar nur über streitiges Vorbringen Beweis zu erheben, aber nicht alles was streitig ist, ist – selbst wenn entscheidungserheblich – deshalb schon beweisbedürftig.
Rz. 5
Keines Beweises bedarf ein Vorbringen, obwohl entscheidungserheblich und streitig,
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das unsubstantiiert ist, vgl. § 2 Rdn 53 ff., |
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an das eine Partei aufgrund eines Geständnisses gebunden ist, § 288 ZPO, vgl. § 1 Rdn 16 ff., |
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das ins Blaue hinein aufgestellt ist, vgl. § 2 Rdn 29 ff., |
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das einer Schätzung nach § 287 ZPO zugänglich ist, vgl. Rdn 27 ff., |
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für das eine gesetzliche Vermutung spricht, z.B. § 1006 BGB, |
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für das eine tatsächliche Vermutung spricht, z.B. die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit von Vertragsurkunden, vgl. Rdn 205 ff., |
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das wegen Verspätung präkludiert ist, vgl. § 4 Rdn 1 ff. |
Keinesfalls ist aber ein Vorbringen schon deshalb von der Beweiserhebung ausgeschlossen, weil eine Partei ihren Sachvortrag geändert hat.
BGH NJW-RR 2016, 1291:
Zitat
Widersprüche im Parteivortrag sind zwar grundsätzlich ein (nicht unwesentlicher) Gesichtspunkt im Rahmen der Beweiswürdigung. Jedoch können sie nicht dazu führen, dass Beweise überhaupt nicht erhoben werden, was sonst einer vorweggenommenen Beweiswürdigung gleichkäme.
Die Änderung des Sachvortrages ist allerdings bei der Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO zu berücksichtigen.
BGH GRUR 2016, 705, 709:
Zitat
Zwar ist eine Partei nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. So kann etwa die Prozessentwicklung Anlass geben, bisher nur beiläufig Vorgetragenes zu präzisieren. Hat eine Partei im Laufe des Prozesses ihr Vorbringen geändert, so kann dieser Umstand allerdings im Rahmen der Beweiswürdigung Bedeutung erlangen. Dasselbe kann für die Bewertung streitigen Vorbringens einer Partei in einem Rechtsstreit gelten, wenn diese in einem Vorprozess abweichend vorgetragen hat.
Der Anwalt sollte das Gericht rechtzeitig, also bevor es seinen Beweisbeschluss verkündet hat, auf die umfangreichen Möglichkeiten hinweisen...