Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 289
Ist erwiesen, dass ein Gesundheitsschaden eingetreten und dem Arzt ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist, der geeignet ist, diesen Schaden herbeizuführen, wird dessen haftungsbegründende Kausalität vermutet.
Schärtl, NJW 2014, 3601 m.w.N.:
Zitat
Voraussetzung ist, dass der bei objektiver Betrachtung "schlechterdings nicht mehr verständliche und verantwortbare", "elementare medizinische Behandlungsstandards" verletzende Diagnose- oder Therapiefehler – zumindest grundsätzlich – die vom Patienten nachgewiesene Rechtsgutsverletzung ("Primärschaden") verursachen kann.
Ein grober Behandlungsfehler ist ein solcher, der unter Berücksichtigung der konkreten Umstände nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Der für einen Arzt geltende Ausbildungs- und Wissensmaßstab ist zugrunde zu legen. Für die Beurteilung des Fehlers als grob stellt der BGH auf das Gesamtgeschehen ab. Erschwerte Behandlungsbedingungen können dem Fehler die Eignung, eine Beweislastumkehr zu begründen, nehmen.
Die Beweislastumkehr gilt nicht für Schäden im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität. Dem Arzt bleibt selbst bei einem groben Behandlungsfehler der Nachweis vorbehalten, der Schaden sei als Folge seines Fehlers gänzlich unwahrscheinlich; maßgeblich ist also die Schadensneigung des groben Fehlers.
Dieser Beweis ist von dem Arzt aber nicht schon dann geführt, wenn der Kausalzusammenhang eher unwahrscheinlich ist, sondern erst dann, wenn er ausgeschlossen oder als ganz unwahrscheinlich anzusehen ist.
Verneint hat der BGH jedoch das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers in einem Fall, in dem eine bestimmte Untersuchung zwar zwingend geboten war, das Unterlassen einer solchen Untersuchung aber nach dem Gutachten des Sachverständigen weder unverzeihlich noch schlechterdings nicht nachvollziehbar, "sondern knapp unter dieser Schwelle einzuordnen sei". Der BGH betont zwar, dass die Frage, ob ein ärztliches Versäumnis als grober Behandlungsfehler einzustufen sei, eine juristische und keine medizinische sei. Er weist aber zugleich darauf hin, dass sich der Tatrichter auf tatsächliche Anhaltspunkte stützen können müsse, die sich in der Regel aus der medizinischen Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen ergäben.
BGH NJW 2005, 427, 428:
Zitat
Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ist nur ausnahmsweise ausgeschlossen, […] wenn der Patient durch sein Verhalten eine selbstständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann.
BGH NJW 1986, 1185:
Zitat
Zweifel an der Ursächlichkeit vermögen die allgemeine Eignung des festgestellten Behandlungsfehlers, einen bestimmten Schaden herbeizuführen, nicht in Frage zu stellen. Sie haben bei der Erwägung ihren Platz, ob der dem Arzt obliegende Beweis für die Nichtursächlichkeit erbracht ist.
Müller, DRiZ 2000, 259, 266:
Zitat
Die Beweiserleichterung beim groben Behandlungsfehler ist keine Sanktion für besonders schweres ärztliches Verschulden. Vielmehr ist sie zum Ausgleich dafür entwickelt worden, dass durch das Gewicht des groben Fehlers die Aufklärung des Behandlungsgeschehens und insbesondere der Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden besonders erschwert worden ist und sich der Patient deshalb unnötig in Beweisnot befindet. Tragender Gesichtspunkt ist also die Billigkeit.
BGH NJW 2012, 2653:
Zitat
War ein grober Verstoß gegen den ärztlichen Standard grundsätzlich geeignet, mehrere Gesundheitsschäden bekannter oder (noch) unbekannter Art zu verursachen, kommt eine Ausnahme vom Grundsatz der Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler regelmäßig nicht deshalb in Betracht, weil der eingetretene Gesundheitsschaden als mögliche Folge des groben Behandlungsfehlers zum maßgebenden Zeitpunkt noch nicht bekannt war.