Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 290
Besondere Bedeutung kommt der Rechtsprechung zu den Beweiserleichterungen auch für den Fall zu, dass dem Arzt (oder dem Krankenhaus) der Vorwurf zu machen ist, es an der medizinisch zweifelsfrei gebotenen Befunderhebung fehlen lassen zu haben, wenn diese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gebracht hätte.
Ist ein Verstoß gegen das Gebot, Befunde zu sichern, als grob fehlerhaft zu werten, wird die von der Rechtsprechung entwickelte und in nun in § 630h Abs. 5 S. 2 BGB verankerte haftungsbegründende Kausalität vermutet.
OLG Stuttgart VersR 2001, 190, 191:
Zitat
[...] Dabei handelt es sich nach den Aussagen des Sachverständigen um eine elementare Pflicht, ein Verstoß ist aus ärztlicher Sicht schlechterdings nicht mehr verständlich. Der eindeutige Verstoß gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln ist ein grober Behandlungsfehler, BGH NJW 1998, 1780. Der Bekl. ist damit beweispflichtig, dass die unterlassene Befunderhebung nicht zur Schädigung der Kl. geführt hat. Der grobe Behandlungsfehler führt zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Primärschädigung, wenn der Kausalzusammenhang nicht äußerst unwahrscheinlich ist, BGH NJW 1998, 1780.
Rz. 291
Nach der Rspr. des BGH kam eine Beweislastumkehr zur Frage der Kausalität aber auch dann schon in Betracht, wenn die unterlassene Befunderhebung oder -sicherung als solche nicht als grober, sondern als einfacher ärztlicher Fehler zu qualifizieren ist. In diesem Fall kann nunmehr § 630h Abs. 5 S. 2 BGB eingreifen.
BGH NJW 2014, 688:
Zitat
Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Beweislastumkehr für den Kausalitätsbeweis bei groben Behandlungsfehlern finden allerdings grundsätzlich nur Anwendung, soweit durch den Fehler des Arztes unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsverletzungen (Primärschäden) in Frage stehen. Für den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden (Sekundärschäden), die erst durch die infolge des Behandlungsfehlers eingetretene Gesundheitsverletzung entstanden sein sollen, gelten sie nur dann, wenn der Sekundärschaden eine typische Folge des Primärschadens ist (Festhaltung BGH, 2.7.2013 – VI ZR 554/12, VersR 2013, 1174). Für die Haftung für Schäden, die durch eine (einfach oder grob fehlerhaft) unterlassene oder verzögerte Befunderhebung entstanden sein könnten, gilt nichts anderes.
Rz. 292
Die haftungsbegründende Kausalität wird folglich schon dann vermutet, wenn dem Behandelnden lediglich ein einfacher Befunderhebungs- oder Befundsicherungsfehler nachzuweisen ist, welcher mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutliches und gravierendes reaktionspflichtiges Ereignis gefordert hätte, dass dessen Verkennung als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren wäre.