Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 147
Zur Aussagepsychologie der Zeugenaussage und deren Würdigung ist auf die eingehenden Untersuchungen von Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, System der Glaubwürdigkeitsmerkmale, 2. Aufl. 1983; Balzer, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Zivilprozess, 3. Aufl. 2011; Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. 1, Glaubwürdigkeits- und Beweislehre, 1981; Bosch, Grundsatzfragen des Beweisrechts, 1963; Geipel, ZAP 2015, 1005; ders., Handbuch der Beweiswürdigung, 3. Aufl. 2017; Hohlweck, JuS 2002, 1105 und 1207; Kirchhoff, MDR 2010, 791; Meyke, NJW 1989, 2032; Miebach, NStZ-RR 2014, 233; Natter/Mohn/Hablitzel, NJOZ 2013, 1041; und Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl., Rn 917 ff.; zu verweisen.
Hier soll nur noch ein Aspekt angesprochen werden, auf den der für Versicherungsfälle zuständige IV. Senat des BGH großen Wert legt, nämlich auf die Unterscheidung zwischen der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Aussage. Darin wird nicht nur ein sprachlicher Unterschied gesehen, sondern der BGH rügt, dass zu wenig Gewicht auf den Aspekt der Glaubwürdigkeitswürdigung gelegt wird. Der Tatrichter soll die Aussage eines Zeugen nicht losgelöst davon würdigen, wie es zu dieser Aussage gekommen ist und wie sie mit seinem bisherigen Verhalten und seinen früheren Aussagen in Einklang zu bringen ist.
Welche Unterlassungen als Verfahrensfehler gerügt werden können, sei durch einen Auszug aus der nachfolgend zitierten BGH-Entscheidung aufgezeigt, bei dem es um die Frage ging, ob das Berufungsgericht das Vorbringen eines Versicherers hinreichend aufgeklärt hat, der von einem Versicherungsnehmer mit der Behauptung in Anspruch genommen worden war, beraubt worden zu sein.
BGH VersR 1991, 924:
Zitat
Zur Glaubwürdigkeit des Zeugen K. hat die Kl. auf eine Reihe von Umständen hingewiesen, die näher hätten geprüft und bewertet werden müssen. Das wird der Tatrichter nachzuholen haben. Dazu gehört in erster Linie die für sich genommen im Rahmen der Glaubhaftigkeit zu beurteilende Tatsache, dass die erste, sechs Seiten lange Aussage des Zeugen von der Kriminalpolizei in wesentlichen Teilen mit seiner späteren Aussage kaum vereinbar ist. Für die Glaubwürdigkeit kann von Bedeutung sein, dass der Zeuge zu seiner zweiten, die Kl. belastenden Aussage vor der Kriminalpolizei auf Betreiben und im Beisein des von der Bekl. eingeschalteten Detektivs erschien. Die von der Kl. mehrfach aufgeworfene Frage nach einer etwaigen Beeinflussung des Zeugen K. durch Dritte bedarf näherer Beantwortung. Es ist nicht auszuschließen, dass auch ein Versicherer oder ein von diesem eingeschalteter Detektiv Zeugen zu bestechen versucht, BGH VersR 1989, 842. Auch unter diesem Gesichtspunkt, nicht nur im Hinblick auf die Aussage der Zeugin V, ist diese Frage zu beantworten. Möglicherweise gewinnt dann die Aussage dieser Zeugin, der der Tatrichter bislang nicht glaubt, ein anderes Gewicht.
Der BGH betont auch, dass nicht jede falsche Angabe eines Versicherungsnehmers zur Schadenshöhe den Schluss auf die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung eines Diebstahls zulässt.
Eben wegen der Bedeutung, die der Glaubwürdigkeit des Zeugen (neben der Glaubhaftigkeit seiner Aussage) zukommt, verlangt der BGH auch, dass ein Kollegialgericht seine Entscheidung nur dann auf das Ergebnis einer von einem Einzelrichter durchgeführten Zeugenvernehmung stützt, wenn dieser seinen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu Protokoll genommen hat.
Rz. 148
Eine Partei kann auch durch Beweisantritt die Glaubwürdigkeit eines Zeugen der Gegenseite zu erschüttern versuchen. Zwar gilt nicht der Satz "Wer einmal lügt …". Aber selbstverständlich kann es für die Würdigung einer Aussage nicht außer Betracht bleiben, dass ein Zeuge sich schon vielfach als unzuverlässig erwiesen hat.
Beispiel
Eine Partei führt ihren Beweis durch einen bezahlten Informanten. Die Gegenseite macht geltend, dessen Informationen hätten sich schon in anderen Verfahren später als fehlerhaft herausgestellt. Dem wird das Gericht nachgehen müssen.