Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 293
Der § 630h Abs. 2 BGB greift beweisrechtlich in den Bereich der Aufklärungspflicht des Behandelnden und der Einwilligung des Patienten ein. Jeder ärztliche Eingriff erfüllt den objektiven Tatbestand einer Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB. Dieser Eingriff ist jedoch nicht rechtswidrig, wenn der Patient seine Einwilligung gem. § 630d BGB erteilt hat. Seine Einwilligung ist ihm aber nur zuzurechnen, wenn er zuvor von dem behandelnden Arzt gem. § 630e BGB über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie aufgeklärt worden ist; auf mögliche Nebenwirkungen und Nachwirkungen ist hinzuweisen. Auf ein Risiko von 1:2.000 ist in jedem Fall hinzuweisen; unter Umständen selbst auf ein solches von 1:20.000.
Nur bei Standardeingriffen reicht eine Belehrung durch Formblatt; ansonsten ist ein Aufklärungsgespräch erforderlich, das nicht unmittelbar vor dem ärztlichen Eingriff vor der Tür des Operationssaales erfolgen darf oder nachdem dem Patienten bereits eine Beruhigungsspritze verabreicht worden ist; es genügt eine Aufklärung im Großen und Ganzen über Chancen und Risiken der Behandlung. Eine telefonische Aufklärung ist mit Einverständnis des Patienten zulässig.
Hat der Arzt die erforderliche Aufklärung unterlassen, haftet er dem Patienten, wenn sich ein Risiko realisiert, auch dann auf Ersatz seines Schadens, wenn den Arzt an dem Schadenseintritt kein Verschulden trifft. Eben weil der in dem Eingriff liegenden Körperverletzung nicht durch eine dem Patienten zuzurechnende Einwilligung die Rechtswidrigkeit genommen ist.
Rz. 294
Zu unterscheiden sind die Eingriffs- und die Sicherheitsaufklärung.
Mit der Eingriffsaufklärung sollen dem Patienten die Risiken des Eingriffs beschrieben werden, damit er die Bedeutung seiner Einwilligung erfassen und sein Selbstbestimmungsrecht sachgerecht ausüben kann.
Müller, NJW 1997, 3049:
Zitat
Bei der Sicherheitsaufklärung hingegen geht es um die Aufklärung des Patienten über richtiges Verhalten zur Sicherung des Heilerfolgs, etwa den Schutz vor Unverträglichkeiten oder den Hinweis auf die Notwendigkeit, den Erfolg des Eingriffs – z.B. einer Sterilisation – durch eine Untersuchung klären zu lassen (BGH NJW 1992, 2961; BGH NJW 1995, 2407). Hierzu gehört auch der Hinweis auf das Versagensrisiko bei derartigen Eingriffen.
Dass ein Aufklärungsgespräch geführt worden ist, hat hinsichtlich der Eingriffsaufklärung der Arzt zu beweisen, § 630h Abs. 2 S. 1 BGB.
Demgegenüber wird ein Unterlassen der Sicherheitsaufklärung nicht mehr generell als Behandlungsfehler gewertet; der Schwerpunkt des ärztlichen Fehlverhaltens liegt gegenüber der unterbliebenen Aufklärung einer zweifelsfrei erforderlichen diagnostischen Maßnahme auf der unzureichenden Sicherheitsaufklärung, so dass insoweit den Patienten die Beweislast trifft.
Aber OLG Köln VersR 2001, 66, 67:
Zitat
Macht der Arzt geltend, dass eine im Anschluss an eine Befunderhebung gebotene, aber unstreitig unterbliebene Sicherheitsaufklärung aus bestimmten Gründen nicht notwendig war, beruft er sich auf einen Ausnahmetatbestand, für dessen Vorliegen er darlegungs- und beweisbelastet ist.
Liegt ein vom Patienten unterschriebenes Aufklärungsformular vor, so indiziert dies, dass überhaupt ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat. Sind Behandlungsunterlagen unvollständig, soll es ausreichen, wenn der Arzt durch Zeugen sein regelmäßiges und übliches Verhalten beweist; wenn der Arzt dann bei seiner Anhörung auch noch bekundet, ein Aufklärungsgespräch geführt zu haben, soll dem Arzt im Regelfall Glauben geschenkt werden.
BGH NJW 2014, 1527:
Zitat
Das Gericht darf seine Überzeugungsbildung gem. § 286 ZPO auf die Angaben des Arztes über eine erfolgte Risikoaufklärung stützen, wenn seine Darstellung in sich schlüssig und "einiger" Beweis für ein Aufklärungsgespräch erbracht ist. Dies gilt auch dann, wenn der Arzt erklärt, ihm sei das strittige Aufklärungsgespräch nicht im Gedächtnis geblieben.
Rz. 295
Die Beweislast erstreckt sich auf die Aufklärung über die Dringlichkeit des Eingriffs wie auf die Rechtzeitigkeit der Aufklärung.
Hat kein Aufklärungsgespräch stattgefunden, kann der Arzt zu seiner Entlastung unter Beweis stellen, der Patient hätte auch bei vollständiger und zutreffender Aufklärung seine Einwilligung erteilt, die sogenannte hypothetische Einwilligung (§ 630h Abs. 2 S. 2 BGB).
Hat der Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt oder kann er zumindest nicht beweisen, ihr genügt zu haben, und beruft er sich zu seiner Entlastung auf die hypothetische Einwilligung des Patienten, hat der Patient darzulegen, weshalb er sich bei korrekter Aufklärung gegen alle medizinische Vernunft gegen einen Eingriff entschieden haben würde. Er kann dartun, dass er sich in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Er muss nicht darlegen, wie er sich tatsäc...