Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 103
Die Rspr. zu dieser Frage ist nicht einheitlich. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1978 hat der BGH die Ansicht vertreten, das Gericht dürfe seine Überzeugung allein auf das Vorbringen einer Partei stützen. Daran knüpft eine Entscheidung des BGH v. 2.7.1985 an, ohne sich allerdings mit den abweichenden Ansichten auseinanderzusetzen:
Zitat
[...] Grundsätzlich ist es dem Richter aus Rechtsgründen nicht einmal verwehrt, allein aufgrund des (in sich stimmigen) Vortrages einer Partei festzustellen, was für wahr und was für unwahr zu erachten ist, sofern er damit nicht Beweisanträge übergeht [...] Hierzu bedarf es entgegen der Meinung der Revision auch nicht der Parteivernehmung nach § 448 ZPO.
In einer Entscheidung aus dem Jahre 1967 hat der BGH demgegenüber ein Urteil eines Oberlandesgerichtes aufgehoben, das auf den persönlichen Eindruck gestützt war, den eine Partei bei ihrer Anhörung hinterlassen hatte. Die Anhörung, so der BGH, dürfe nicht zu Beweiszwecken eingesetzt werden. Wolle ein Gericht die Angaben einer Partei zum Beweismittel erheben, habe es nach §§ 445 ff. ZPO vorzugehen; das OLG habe eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO anordnen müssen.
Rz. 104
Mit einer Entscheidung vom 6.10.1981 hat der BGH dann ausgesprochen, dass es dem Richter zwar grundsätzlich erlaubt sei, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist. Gleichzeitig merkt der BGH aber an, dass ein solches Verfahren, wenn beide Parteien Beweis angeboten haben, aber nur in Ausnahmefällen und nur dann angewandt werden darf, wenn der vorgetragene Sachverhalt beider Parteien klar, widerspruchsfrei und überzeugend ist.
In einer Entscheidung des BGH vom 29.10.1987 hat der BGH sodann seine Ansicht, das Gericht dürfe seine Überzeugung allein auf das Vorbringen der Parteien ohne Beweiserhebung stützen, wiederholt und nicht im Widerspruch zu BGH MDR 1967, 834 gesehen, weil in dieser Entscheidung die Anhörung vom Tatrichter in unzulässiger Weise zum Beweismittel erhoben worden sei. Es müsse deutlich werden, dass dem Tatrichter bewusst sei, dass die Anhörung keine Parteivernehmung sei und dieser ein höherer Beweiswert zukommen könne.
Rz. 105
Für ein sehr weitgehendes Recht des Richters zur Verwertung von Parteivortrag auch BGH NJW 1996, 1131, 1135:
Zitat
Das Berufungsgericht durfte ohne Rechtsverstoß von der Richtigkeit des Vortrags des Klägers ausgehen, dass ihm Mitbürger seit der Veröffentlichung des Buches "Der Lohnkiller" mit Zurückhaltung und Vorbehalten begegnen. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagten diesen Vortrag bestritten haben. Es ist dem Tatrichter nicht verwehrt, allein aufgrund des Parteivortrags und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist […]. Das Berufungsgericht durfte auch auf die von ihm für glaubhaft erachteten Angaben des Klägers bei seiner Anhörung nach § 141 ZPO abstellen; denn der Tatrichter ist nicht gehindert, derartige Erklärungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu verwerten […].
Und BGH NJW 1999, 363:
Zitat
Dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit kann allerdings auch durch eine persönliche Anhörung nach § 141 ZPO genügt werden.
In einer neueren Entscheidung hat der BGH – im Anschluss an die Entscheidung des BGH vom 29.10.1987 – erneut ausgesprochen, dass es dem Tatrichter nach § 286 ZPO grundsätzlich erlaubt ist, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist. Der Tatrichter könne im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht – auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt – beweisen könne.
Rz. 106
Es existiert allerdings auch eine andere Meinungsströmung in der Rechtsprechung des BGH, die den Grundsatz der Subsidiarität der Parteivernehmung in den Vordergrund rückt. Danach kann ein Gericht seine Überzeugung zugunsten des Tatsachenvortrags einer Partei gerade nicht allein oder auch nur maßgeblich auf die Anhörung dieser Partei stützen, vgl. BGH NJW 1997, 1988:
Zitat
Nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilverfahrensrechts müssen bestrittene, erhebliche Parteibehauptungen in der Regel mit den in der ZPO vorgesehen Beweismitteln bewiesen werden […]. § 286 Abs. 1 ZPO begründet für den Tatrichter die Pflicht zur möglichst vollständigen Aufklärung des Sachverhalts […].
Die Frage, ob der Tatrichter seine Entscheidung auf bestrittenes Vorbringen einer Partei im Wege der Anhörung nach § 141 ZPO oder Vernehmung nach § 448 ZPO stützen kann, stellt sich grundsätzlich nur, wenn die Partei sich in Beweisnot befindet […], ihr also keine Beweismittel zur Verfügung stehen oder diese nicht ausreichen.
Hat beispielsweise der Versicherungsnehmer zum Beweis des äußeren Bildes eines Kfz-...