Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 175
Der Sachverständige gilt als Richtergehilfe. Er soll dem Richter die ihm fehlenden Spezialkenntnisse und die Kenntnis der für seine Entscheidung erforderlichen Erfahrungssätze vermitteln. Medizinische Fragen etwa darf der Richter nur dann ohne Sachverständigen entscheiden, wenn er eigene Sachkunde besitzt und im Urteil auch darlegt, worauf diese beruht. Die eigene Sachkunde könnte sich zum Beispiel aus der langjährigen Zugehörigkeit zu einer Spezialkammer ergeben.
Aber BGH NJW 1997, 1446:
Zitat
Gutachten von Sachverständigen unterliegen der freien Beweiswürdigung (§§ 287 Abs. 1, 286 Abs. 1 ZPO). Dementsprechend darf das Gericht grundsätzlich von dem Gutachten eines Sachverständigen abweichen, wenn es von dessen Ausführungen nicht überzeugt ist. Es bedarf aber der Ausweisung entsprechender Sachkunde, wenn ein Gericht fachkundigen Feststellungen oder fachlichen Schlussfolgerungen nicht folgen will.
Eine zulässige Abweichung des Gerichts vom Gutachten eines Sachverständigen erfordert stets die Darlegung der hierfür maßgeblichen Erwägungen im Sinne einer einleuchtenden und nachvollziehbaren Begründung im Urteil, die nicht darauf beruhen darf, dass das Gericht eine ihm nicht zukommende eigene Sachkunde für sich in Anspruch nimmt.
Rz. 176
Das (deutsche) Recht hat der Richter selbst zu kennen, nicht nur das Zivil- und das Zivilprozessrecht. Das bringt ihn in arge Verlegenheit, wenn für seine Entscheidung steuerrechtliche Fragen von Belang sind; etwa in einem Haftpflichtprozess des Mandanten gegen seinen Steuerberater. Für diesen Fall lässt der BGH aber die Einholung eines Sachverständigengutachtens von einem Steuerberater zu.
Rz. 177
Der Richter kann und muss von Amts wegen ein Gutachten einholen, wenn seine eigene Sachkunde nicht ausreicht. Anders als bei einem zulässigen Zeugenbeweisantritt – dem das Gericht grundsätzlich nachzugehen hat – muss der Richter dem Antrag ein Sachverständigengutachten einzuholen, also nicht zwingend nachgehen, wenn er über eigene Sachkunde verfügt. Allerdings stellt der BGH an den Nachweis eigener Sachkunde des Richters hohe Anforderungen.
BGH NJW 2000, 1946:
Zitat
Die Würdigung eines nicht einfachen medizinischen Sachverhalts, wie ihn die Folgen eines Badeunfalls darstellen, erfordert aber regelmäßig eine spezielle Sachkunde und wird nicht schon durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht, die sich das Gericht in anderen Verfahren oder aus vorgelegten schriftlichen Gutachten angeeignet haben mag. Sie setzt stets die sachkundige Berücksichtigung, der aus medizinischer Sicht maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalls voraus und übersteigt damit das gemeinhin zuzumutende Laienwissen. Die medizinischen Kenntnisse, die ein Gericht aus anderen von ihm zu entscheidenden Fällen und in diesen möglicherweise erstatteten Gutachten zu gewinnen vermag, sind dagegen notwendig bruchstückhaft, auf den jeweils zur Entscheidung gestellten Einzelfall ausgerichtet, und nicht verallgemeinerungsfähig. Sie sind in aller Regel nicht geeignet, die erforderliche Sachkunde des Gerichts in einem anderen Fall zu begründen. Solche Kenntnisse sind erwünscht und in der Regel auch erforderlich, um dem Gericht die Möglichkeit zu verschaffen, in zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreitigkeiten erforderliche und zweckdienliche Fragen an Parteien und Sachverständige richten zu können (vgl. § 139 Abs. 1 ZPO). Sie vermögen jedoch wegen der in jedem Einzelfall möglichen Besonderheiten die Entscheidung medizinischer Fragen aus eigenem Wissen nicht zu tragen.
Sofern das Gericht auf ein Sachverständigengutachten verzichtet und bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, muss es den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen. Nach OLG Frankfurt soll das Gericht nicht verpflichtet sein, von Amts wegen ein Gutachten einzuholen, wenn es auf die Beweisbedürftigkeit einer Frage hingewiesen hat, von der beweisbelasteten Partei jedoch kein entsprechender Beweisantrag gestellt wird.
Diese wird vielleicht deshalb von einem solchen Beweisantritt absehen, weil das Gericht die Einholung eines Gutachtens gemäß § 17 Abs. 3 GKG von einem Kostenvorschuss abhängig machen kann.
(Um diese Kosten zu vermeiden, wird häufig, wenn neben der zivilrechtlichen Haftung eine strafrechtliche Verantwortung des Schädigers in Betracht kommt, Strafanzeige erstattet, um die Staatsanwaltschaft zu zwingen, auf Staatskosten die Sachverständigenfrage klären zu lassen.)
OLG Oldenburg sieht die Verletzung der Prozessförderungspflicht gegeben, wenn eine Partei lediglich ein Privatgutachten vorlegt und keinen Antrag auf Einholung eines gerichtlichen Gutachtens stellt.
Rz. 178
Tritt eine Partei Beweis durch Sachverständigengutachten an, hat sie die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen.
Dazu der BGH NJW 1995, 130, 131:
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§ 403 ZPO nimmt zur Beweiserleichterung auf die Informationsnot der beweispflichtigen Partei Rücksicht und verlangt keine wissenschaftliche (sachver...