Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 219
Die Frage nach der Beweislast stellt sich zum einen, wenn es zu bestimmen gilt, wer für eine streitige Behauptung Beweis anzutreten hat, Beweisführungslast. Der Beweispflichtige ist gegebenenfalls vom Gericht gemäß § 139 ZPO zum Beweisantritt aufzufordern. Er hat den Kostenvorschuss zur Ladung von Zeugen und Sachverständigen zu entrichten.
Zum anderen ist zu klären, wem es zum Nachteil gereichen soll, dass eine Tatsachenbehauptung nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen ist, objektive Beweislast. Die Beweislast regelt also insoweit die Risikoverteilung für den Fall der Nichterweislichkeit von Tatsachenvorbringen; sie ist ein Hilfsmittel, trotz eines nicht aufgeklärten Sachverhaltes eine Entscheidung treffen zu können; nur dadurch wird der Zwang des Richters erträglich, jede ihm vorgetragene Sache entscheiden zu müssen.
Rz. 220
Die Beweislast deckt sich weitgehend mit der Darlegungslast bzw. Behauptungslast:
Jede Partei ist beweisbelastet für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzung der ihr günstigen Norm; also für rechtsbegründende, rechtsverneinende, rechtsvernichtende, rechtshemmende Tatsachen – auch für die negativen.
BGH MDR 1999, 350:
Zitat
Auf der ersten Ebene ist der Antragsteller für die rechtserzeugenden Tatsachen seines Anspruchs beweispflichtig […]. Auf einer zweiten Ebene trägt derjenige, welcher sich auf Nichteintritt, Hemmung oder Untergang des an sich bestehenden Anspruchs beruft, die Beweislast für die rechtshindernden, rechtshemmenden oder rechtsvernichtenden Tatsachen […]. Auch den rechtsvernichtenden Tatsachen können vernichtungshindernde (rechtserhaltende) Tatsachen gegenübertreten, die wiederum zu einer auf der Gegenseite liegenden Beweislast führen […]. Ihnen können weitere Normen mit entgegengesetzter Wirkung entgegentreten, und so ergibt sich ein “weitreichendes, sich ständig wiederholendes Widerspiel von Rechtssätzen, weil die Wirkung jeder Norm durch eine andere gehindert, oder vernichtet werden kann […]
Rz. 221
Eine Beweislastumkehr aus Billigkeitsgründen im Einzelfall ist unzulässig.
Rz. 222
Die Schwierigkeit, einen negativen Beweis zu führen, ändert nichts an der Beweislastverteilung; allerdings hilft die Rechtsprechung dem Beweisbelasteten u.U. mit reduzierten Anforderungen an das Beweismaß; siehe auch Rdn 8 ff. Darüber hinaus kann sich der Gegner des Beweispflichtigen gegenüber der Behauptung einer negativen Tatsache nicht auf ein bloßes Bestreiten zurückziehen, sondern er muss eine positive Gegenbehauptung, z.B. einen bestimmten Rechtsgrund gegenüber einem auf § 812 BGB gestützten Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung vortragen, etwa das Vorliegen einer Schenkung. Dann hat der Beweispflichtige die Möglichkeit, die negative Tatsache zu beweisen, denn er muss nicht mehr alle erdenklichen positiven Möglichkeiten ausschließen, sondern nur die konkrete Gegenbehauptung widerlegen.
Die Beweislast hängt nicht von der Rolle ab, die eine Partei im Prozess innehat, also ob sie Kläger oder Beklagter ist; somit keine Änderung der Beweislast etwa bei negativer Feststellungsklage.
Rz. 223
Die Beweislast ist mitunter ausdrücklich im Gesetz geregelt, z.B. in den §§ 179 Abs. 1, 280 Abs. 1 S. 2, 286 Abs. 4, 476, 892, 932 BGB.
Häufig ergibt sich die Beweislast aus der Fassung des Gesetzeswortlauts. Wer sich auf einen Gesetzespassus beruft, der mit den Worten "wenn nicht …", "soweit nicht …", "ausgenommen …" eingeleitet ist, hat dessen Voraussetzungen zu beweisen.
Rz. 224
Beispiel
Die Hinterbliebenen eines, bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückten Fußgängers, nehmen den Halter und Fahrer des Pkw auf Schadensersatz in Anspruch, der den Fußgänger überfahren hat. Dieser hatte zum Unfallzeitpunkt einen Blutalkoholgehalt von 2,0 ‰.
Der Pkw-Fahrer behauptet, der Fußgänger sei ihm plötzlich von rechts vor das Auto gelaufen; die Hinterbliebenen bestreiten das mit Nichtwissen. Ein vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten hat den Geschehensablauf nicht klären können.
Soweit die Hinterbliebenen als Erben Schmerzensgeld begehren, müssen sie die Voraussetzungen der §§ 823, 253 Abs. 2 BGB, also einen Sachverhalt beweisen, aus dem sich ein Unfallverschulden des Fahrers ergibt. Da sich der Unfallverlauf nicht aufklären ließ, haben die beweispflichtigen Kläger kein Verschulden nachweisen können; also haben sie keinen (übergegangenen) Schmerzensgeldanspruch gegen den Beklagten.
Für den Anspruch auf Ersatz des übrigen Schadens (Sachschaden, entgangener Unterhalt) genügt gemäß § 7 Abs. 1 StVG das – hier unstreitige – Vorbringen, der Fußgänger sei beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges zu Tode gekommen. Der Fahrer kann den Ersatzanspruch nur abwenden, wenn er Tatsachen vorträgt und beweist, aus denen sich ergibt, dass der Unfall für ihn im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG unabwendbar war. Seine Behauptung, der Fußgänger sei ihm plötzlich vor das Auto gelaufen, wäre geeignet, die Unabwendbarkeit zu begründen. Die Hinterbliebenen haben sie aber in zulässiger Weise gemäß § 138 Abs...