1. Allgemeines
Rz. 183
Nach § 88 VVG bestimmt sich der Versicherungswert einer versicherten Sache nach dem Betrag, der für eine Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung im neuwertigen Zustand aufgewandt werden muss. Abzuziehen ist die Differenz zwischen dem Neuwert und dem Zeitwert unmittelbar vor dem Schadeneintritt. Diese gesetzliche Regelung ist grundsätzlich abdingbar. Davon wird unter anderem in der Feuerversicherung Gebrauch gemacht. Feuerversicherungsverträge enthalten in der Regel von der gesetzlichen Regelung abweichende vertragliche Vereinbarungen. Die Einzelheiten hierzu regelt § 5 AFB 87/A § 7 AFB 2010. Darin wird der Versicherungswert nach Gütergruppen (Gebäude, Betriebseinrichtungen, Waren, Rohstoffe, Naturerzeugnisse und Wertpapiere) getrennt definiert. Folgende Begriffe sind dabei zu unterscheiden:
2. Neuwert
a) Ausnahme vom Bereicherungsverbot
Rz. 184
Die Schadensversicherung war von dem allgemeinen Prinzip geprägt, dass die Regulierung des Schadens nicht zu einer Besserstellung des Versicherungsnehmers führen darf (Bereicherungsverbot). Im Schadenfall sollte der Versicherungsnehmer deshalb in der Regel nur den Betrag erhalten, der erforderlich ist, um eine dem Alter und dem Zustand der beschädigten Sache entsprechende Ersatzsache im unbeschädigten Zustand zu beschaffen. Muss jedoch beispielsweise ein Haus wieder so aufgebaut werden, wie es vor dem Schadenfall ausgesehen hat, benötigt der Versicherungsnehmer weitaus größere Geldmittel. Solche Mittel stehen ihm in der Regel nicht zur Verfügung.
Rz. 185
Um die daraus resultierende Lücke im Versicherungsschutz zu schließen, wurden bereits Ende der zwanziger Jahre Neuwertversicherungen für industrielle Anlagen und Wohngebäude entwickelt. Das damals angewandte Prinzip gilt auch heute annähernd unverändert. Um die Bereicherung des Versicherungsnehmers durch einen Versicherungsfall zu begrenzen, setzt der Entschädigungsanspruch auf den über den reinen Zeitwert hinausgehenden Neuwertanteil (neben der so genannten Wiederherstellungsklausel, siehe Rdn 233 f.) voraus, dass die versicherte Sache einen bestimmten Grad der Entwertung nicht unterschreiten darf.
Die Einzelheiten hierzu sind für Gebäude einerseits und technische und kaufmännische Betriebseinrichtungen sowie für Gebrauchsgegenstände von Betriebsangehörigen andererseits unterschiedlich definiert.
b) Neuwertversicherung von Gebäuden
Rz. 186
Gemäß § 5 Nr. 1 a AFB 87/A § 7 Nr. 1 a bb AFB 2010 umschreibt der Neuwert von Gebäuden (auch Neubauwert genannt) die Summe aller Baukosten einschließlich aller Baunebenkosten, die zur Herstellung eines neuen Gebäudes erforderlich sind. Zu den Baunebenkosten gehören Architektenleistungen für Planung und Bauüberwachung, Ingenieur-Honorare für Statik sowie Gebühren für Behördenleistungen. Wegen der Abgrenzung dieser Kosten zu den "versicherten Kosten" in der Feuerversicherung siehe die Ausführungen oben (vgl. Rdn 133).
Rz. 187
Die konkreten Kosten richten sich nach den örtlichen Verhältnissen. Der ortsübliche Bauwert ist der Preis, zu dem am Schadensort unter Berücksichtigung der Preisentwicklung während der unvermeidlichen Zeitdauer des Wiederaufbaus ein Gebäude gleicher Art und gleicher Zweckbestimmung herzustellen ist, ohne Rücksicht auf den für den Versicherungsnehmer günstigeren oder ungünstigeren Preis des ersten Baus.
Rz. 188
Voraussetzung für eine Entschädigung des Neuwertes ist, dass der Zeitwert des versicherten Gebäudes zum Zeitpunkt des Schadens mindestens 40 % (in A § 7 Nr. 1 a cc AFB 2010 einen festzulegenden Prozentsatz) des Neubauwertes beträgt. Bei landwirtschaftlichen Gebäuden muss der Zeitwert mindestens 50 % des Neubauwertes betragen. Liegt bereits eine höhere Entwertung vor, beschränkt sich die vom Versicherer zu erbringende Versicherungsleistung in jedem Fall auf den Zeitwert. Die Regelungen des A § 7 Nr. 1 AFB 2010 stehen in einem Kontext. Grundsatz ist, dass bei Gebäuden der Versicherungswert der Neuwert ist. Von diesem Grundsatz wird abgewichen. Liegt der Zeitwert unter 40 % des Neuwertes, so ist der Versicherungswert nur noch der Zeitwert. Der BGH hält diese Regelungen für wirksam, insbesondere für verständlich und nicht überraschend.
c) Gleitende Neuwertversicherung
Rz. 189
Eine Besonderheit stellt die sog. Gleitende Neuwertversicherung dar. Sie gilt im Bereich der Wohngebäudeversicherung (VGB 88 und 2008) und nach Maßgabe der Sonderbedingungen für die Gleitende Neuwertversicherung von Wohn-, Geschäfts- und landwirtschaftlichen Gebäuden (SGlN 79 a).
Inhalt der Gleitenden Neuwertversicherung ist, dass die Entschädigung den Wiederaufbaukosten am Schadentag angepasst wird, so dass Preisschwankungen weder zu einer Unter- noch zu einer Überversicherung führen können. Bei der Gleitenden Neuwertversicherung wird der Versicherungswert nach den Preisen des Jahres 1914 ermittelt. Die Einzelheiten hierzu werden bei der Wohngebäudeve...