Rz. 246
§ 15 AFB 87/A § 10 AFB 2010 enthalten eine Konkretisierung des in § 84 VVG normierten Grundsatzes, dass die Höhe des Schadens oder – wenn dies zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages ausdrücklich vereinbart wird – auch sonstige tatsächliche Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs oder die Höhe der Entschädigung im Rahmen eines so genannten Sachverständigenverfahrens festgestellt werden können. Das Verfahren wird entweder auf einvernehmlichen Wunsch beider Vertragsparteien oder auf einseitige Forderung des Versicherungsnehmers durchgeführt. Durch ein Sachverständigenverfahren wird das Rechtsschutzbedürfnis für ein selbstständiges Beweisverfahren beseitigt.
1. Benennung der Sachverständigen
Rz. 247
Formelle Voraussetzung für die Durchführung eines wirksamen Sachverständigenverfahrens ist zunächst, dass beide Parteien je einen Sachverständigen und die beiden genannten Sachverständigen sodann einen dritten Sachverständigen als Obmann benennen. Die von den Parteien benannten Sachverständigen stellen keine Schiedsrichter gem. § 1025 ZPO, sondern Schiedsgutachter dar. Folglich kann im Prozess nicht die Rüge des Schiedsvertrages gem. § 1027a ZPO erhoben werden.
Rz. 248
Der Versicherer ist bei der Auswahl des Sachverständigen an die Vorgaben des § 15 Nr. 2 c AFB 87 bzw. A § 10 Nr. 3 AFB 2010 gebunden. Danach darf er keine Personen benennen, die Mitbewerber des Versicherungsnehmers sind oder mit diesem in Geschäftsverbindung stehen, ferner keine Personen, die bei Mitbewerbern oder Geschäftspartnern angestellt sind oder mit ihnen in einem ähnlichen Verhältnis stehen. Diese Grundsätze gelten auch für die Auswahl des Obmanns.
Rz. 249
Im Übrigen sind die Parteien in ihrer Wahl frei. Der Sachverständige muss keine besondere Qualifikation aufweisen. Hat eine Partei Bedenken gegen die fachliche Eignung des von der Gegenseite benannten Sachverständigen, kann sie dies beanstanden, ist aber letztlich an die Wahl durch die Gegenpartei gebunden. Ebenso wenig kann eingewendet werden, dass der Sachverständige für die Partei bereits anderweitig Gutachten erstattet oder in derselben Sache bereits am Regulierungsverfahren mitgewirkt hat.
Rz. 250
Nicht abschließend geklärt ist, ob der Sachverständige zu der ihn ernennenden Partei in einem Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnis stehen darf. Nach Langheid kann die Befangenheit eines Sachverständigen zur Unverbindlichkeit des Gutachtens führen. Diese Einschränkung ist jedoch m.E. nicht geboten. Eine Unabhängigkeit der von beiden Parteien benannten Sachverständigen ist nicht erforderlich, da im Falle einer voneinander abweichenden Einschätzung der Obmann entscheidet.
Rz. 251
Eine absolute Unabhängigkeit wird jedoch unzweifelhaft von dem von beiden Sachverständigen zu benennenden Obmann gefordert. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass der Obmann zu einer Partei in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, führt dies in der Regel zur Unverbindlichkeit des Gutachtens.
2. Aufgaben der Sachverständigen
Rz. 252
Aufgabe der Sachverständigen ist es, die Höhe des Schadens festzustellen. Hierzu gehört es im Einzelnen, den Versicherungswert der versicherten Sachen unmittelbarer vor dem Schaden und die Höhe des Schadens und den Versicherungswert nach dem Schaden zu ermitteln.
Darüber hinaus ist es Aufgabe der Sachverständigen, Aussagen über die technische Abgrenzung des Schadens, also die Unterscheidung zwischen betroffenen und nicht betroffenen Sachen oder Gebäudebestandteilen, zu treffen.
Rz. 253
Grundsätzlich sind von den Sachverständigen keine Rechtsfragen zu klären. Ohne besondere Vereinbarung haben Sie deshalb beispielsweise keine Feststellungen zu treffen über
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das Vorliegen eines Versicherungsfalles, |
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die Entschädigungspflicht des Versicherers dem Grunde oder der Höhe nach, |
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die Auslegung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, |
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das Vorliegen eines nicht unter Versicherungsschutz fallenden Betriebsschadens, |
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die Herbeiführung des Versicherungsfalles durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. |
Rz. 254
Das Sachverständigenverfahren sieht grundsätzlich vor, dass jeder Sachverständige ein eigenes Gutachten erstellt. In der Praxis hat sich jedoch die Übung durchgesetzt, von beiden Sachverständigen ein gemeinsames Gutachten zu erarbeiten, in dem die gegebenenfalls voneinander abweichenden Auffassungen gesondert dargestellt werden.
Nach Auffassung von Boldt ist diese Vorgehensweise rechtlich nicht zu beanstanden, während Voit eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung beider Parteien hierüber für erforderlich erachtet. Dass eine dahingehende Vereinbarung grundsätzlich erforderlich ist, entspricht auch der Auffassung des BGH, der ein stillschweigendes Einverständnis der Parteien mit einem gemeinsamen Gutachten annimmt, wenn gemeinsame Besichtigungen des Objektes und...