Rz. 28
Beispiel:
Der ursprünglich französische, bei seinem Tode US-amerikanische Staatsangehörige Caron besaß eine an der Côte d’Azur belegene Eigentumswohnung. Er brachte diese in eine amerikanische Corporation ein, um die Entstehung von Pflichtteilen nach dem für in Frankreich belegene Immobilien geltenden französischen Erbrecht zu verhindern. Die Cour de Cassation bestätigte zwar, dass die Anteile an der Corporation als bewegliches Vermögen zu qualifizieren seien, obwohl es sich um eine reine Immobiliengesellschaft handele. Grundsätzlich gelte daher das amerikanische Wohnsitzrecht des Erblassers, wonach den Kindern keine Pflichtteile zuständen. Allerdings liege in dieser Gestaltung eine unzulässige Rechtsumgehung. Der Herabsetzungsklage des Sohnes wurde daher in Anwendung französischen Erbrechts stattgegeben.
I. Erscheinungsformen
Rz. 29
Die Möglichkeit einer arglistigen Umgehung einschränkender Rechtsnormen im internationalen Rechtsverkehr hat stets in besonderer Weise die Phantasie und die Gemüter bewegt. Gerichtliche Entscheidungen hierzu sind dennoch äußerst selten. Unklar ist, ob das daran liegt, dass einschlägige Fälle so selten sind, oder ob es daran liegt, dass die Erblasser in diesen Fällen so geschickt vorgehen, dass ein gerichtliches Vorgehen aussichtslos erscheint.
Rz. 30
Die EuErbVO enthält keine ausdrückliche Regelung zur Rechtsumgehung. EG 26 EuErbVO bestimmt aber, dass die Verordnung kein Gericht daran hindern soll, Mechanismen gegen die Gesetzesumgehung wie beispielsweise gegen die fraude à la loi im Bereich des Internationalen Privatrechts anzuwenden.
Rz. 31
Das Vorliegen einer Rechtsumgehung wird regelmäßig bei Vorliegen folgender Tatbestandsvoraussetzungen bejaht:
▪ |
Eine umgangene Rechtsfolge bzw. eine Rechtsordnung, die diese Rechtsfolge enthält (z.B. die Regelung des französischen Rechts, dass die Kinder ¾ des Nachlasses als Pflichtteil erhalten). |
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Eine ergangene Rechtsfolge bzw. eine Rechtsordnung, die diese Rechtsfolge nicht enthält (z.B. das Recht von Mexiko, das grundsätzlich keine Pflichtteile kennt). |
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Eine Umgehungshandlung (z.B. Wechsel der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes, Umschichtung oder Verlagerung des Vermögens). |
▪ |
Die Umgehungsabsicht (Erforderlichkeit umstritten). |
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Die Anwendung der ergangenen Norm erscheint als "unangemessene Rechtsfolge", obwohl formell die Voraussetzungen für ihre Anwendbarkeit vorliegen. Dieser letzte Punkt ist am schwierigsten zu beurteilen, da er eine Wertung verlangt. |
II. Manipulationshandlungen
Rz. 32
Manipulationen kämen in Form von folgenden Maßnahmen in Betracht:
1. Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts
Rz. 33
Eine Manipulationsmöglichkeit im Rahmen der EuErbVO mag sich zunächst daraus ergeben, dass der für die objektive Bestimmung des Erbstatuts maßgebliche Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts leicht verlegbar erscheint. Dies freilich stellt sich in der Praxis schwieriger dar, als es zunächst den Anschein hat. Geht man mit der wohl überwiegenden Ansicht vom einheitlichen Begriff ab und verlangt man einen "erbrechtsspezifischen gewöhnlichen Aufenthalt", so muss der Erblasser derart intensiv mit der gewünschten Rechtsordnung verbunden sein, dass die Anwendbarkeit dieses Rechts auf die Erbfolge kaum noch als unangemessene Folge erscheinen kann. Stellt sich hingegen heraus, dass er nur scheinbar umgezogen ist (und z.B. die im Wunschstaat belegene Immobilie in Wirklichkeit nur wenige Wochen im Jahr genutzt hat, vielmehr den überwiegenden Teil bei Freunden im Herkunftsstaat gelebt hatte), so wird der Erblasser bei dieser Definition in Wirklichkeit der gewöhnliche Aufenthalt weiterhin im Herkunftsstaat beibehalten haben. Es läge ein Fall der sog. unechten Umgehung vor. Die Umgehung ist dann misslungen.
Rz. 34
Aber auch bei geringeren Anforderungen an die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen der Verwendung eines IPR-einheitlichen Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts dürfte ein Rückgriff auf die Figur der "Rechtsumgehung" entbehrlich sein. Gerade auch auf die Fälle der "dolosen Rechtserschleichung" gemünzt erscheint die Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO. Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Das soll gem. EG 25 EuErbVO gerade für Fälle gelten, in denen der Erblasser erst kurz vor seinem Tod in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts umgezogen ist. Im Fall der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ist der Einwand der exceptio doli also schon auf dieser Ebene denkbar. Freilich ist in diesem Fall zu berücksichtigen, dass bei Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in einen an...