Rz. 9

Allein das (Gesamt-)Ergebnis der Rechtsanwendung ist Gegenstand der Kontrolle. Da der ausländische Gesetzgeber nicht deutschem Verfassungsrecht unterliegt, ist eine abstrakte Kontrolle der Regeln des ausländischen Erbrechts anhand der deutschen Grundrechte nicht möglich. "Ergebnis der Rechtsanwendung" bedeutet insbesondere, dass sämtliche Möglichkeiten des ausländischen Sachrechts wie auch des deutschen IPR auszuschöpfen sind:

Fehlende Pflichtteile von Abkömmlingen oder des Ehegatten werden im ausländischen Recht vielfach bei Bedürftigkeit durch Unterhaltsansprüche kompensiert. Durch erbrechtliche Qualifikation dieser Ansprüche bzw. durch "Angleichung" kann man diese zum Erbstatut ziehen.[10]
Eine zu geringe oder fehlende Ehegattenerbquote wird ggf. erträglich, wenn der Ertrag aus einer güterrechtlichen Auseinandersetzung in die Betrachtung einbezogen wird.[11]
Die einseitige Verstoßung der deutschen Ehefrau durch ihren muslimischen Ehemann (talaq) ist anzuerkennen, wenn die Ehefrau ohnehin mit der Scheidung einverstanden war oder wegen Zerrüttung der Ehe auch nach deutschem Recht gerichtlich hätte geschieden werden können.[12]
Ein fehlendes gesetzliches Erbrecht für einen gleichgeschlechtlichen Ehegatten berührt dann das Ergebnis der Rechtsanwendung nicht, wenn dieser aufgrund testamentarischer Zuweisung eine Beteiligung am Nachlass erhält, die über das hinausgeht, was ein heterosexueller Ehegatte nach dieser Rechtsordnung als Pflichtteil zugewiesen bekäme.
 

Rz. 10

Im Beispiel sind die "ungläubigen" Kinder und die Ehefrau aufgrund ihrer Konfession vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen. Damit ist das Endergebnis und kein "Zwischenergebnis" betroffen.[13]

 

Rz. 11

Das OLG Hamm[14] hatte 1993 entschieden, dass die im Vergleich zur Schwester doppelt so hohe gesetzliche Erbquote des Sohnes bei der Erbfolge nach einem iranischen Erblasser hinzunehmen sei, weil ein solches Ergebnis auch darauf beruhen könne, dass der Erblasser eine entsprechende letztwillige Verfügung getroffen oder die Schwester auf die Hälfte ihres Erbrechts verzichtet hat. Dieses Argument ist freilich unzutreffend, da die geringere Erbquote der Tochter gerade nicht auf einem entsprechenden testamentarisch niedergelegten Willen des Erblassers beruhte, sondern auf dem Gesetz.[15] Anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Erblasser nur deswegen von einer letztwilligen Verfügung abgesehen hat, weil er darauf vertraut hat, dass die beabsichtigte Verteilung nach den Regeln des Korans schon von Gesetzes wegen eintritt.[16] Freilich muss in einem solchen Fall ein entsprechender Wille des Erblassers klar nachgewiesen werden.[17]

 

Rz. 12

Errichtet ein in Deutschland lebender ägyptischer Erblasser ein Testament, in dem er seinen Nachlass nach den im Koran festgelegten Quoten unter seinen Angehörigen verteilt, so liegt hierin schon deswegen kein Anwendungsfall für Art. 35 EuErbVO, weil in diesem Fall die Erbfolge nicht auf dem ägyptischen, sondern auf dem deutschen Recht und auf dem Testament beruht. Da der Schutz der Angehörigen gegen die Willkür des Testators durch das Pflichtteilsrecht gewährleistet wird, dürfte auch bei geschlechtsbezogener Differenzierung des Erblassers der Rückgriff auf § 138 BGB verschlossen sein. Erspart sich der Erblasser das Abschreiben und bringt er die Quoten des islamischen Rechts zur Anwendung, indem er sein Testament auf eine Rechtswahl zum ägyptischen Recht beschränkt (Art. 22 Abs. 1 EuErbVO), so müsste man hingegen das Ergebnis mit dem ordre public korrigieren. Nach einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung des OLG Hamm sei der Rückgriff auf den ordre public gegen die gesetzlichen Regeln über die Erbfolge dann nicht zulässig, wenn der Ausschluss von der Erbfolge dem feststellbaren Willen des Erblassers entspreche. In diesem Fall komme allenfalls dann der ordre public zum Einsatz, wenn zugleich auch die Versagung eines Pflichtteils- oder Noterbrechts im konkreten Einzelfall den ordre public verletze.[18]

[10] Siehe § 3 Rdn 106; MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, Art. 35 EuErbVO Rn 8.
[11] Krit. insoweit Dörner, IPRax 1994, 37, nach dessen Ansicht das zusätzliche Viertel bereits als güterrechtlicher Ausgleich geschuldet sei, so dass es nicht mehr ein zu geringes Erbrecht kompensieren könne. Dieses Argument überzeugt bei einem rechnerischen Güterausgleich, nicht jedoch bei § 1371 Abs. 1 BGB, der auf eine pauschale Besserstellung des überlebenden Ehegatten abzielt.
[12] Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 20 I 1 a, S. 793; OLG München IPRax 1989, 238 m. Anm. Jayme, S. 223 f.
[13] OLG Hamm FamRZ 2005, 1705 = ZEV 2004, 436 m. Anm. St. Lorenz.
[14] OLG Hamm FamRZ 1993, 111.
[15] Daher braucht man deswegen noch nicht die ausländische Norm zum Gegenstand der Prüfung zu machen, siehe v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6 Rn 115; anders Dörner, IPRax 1994, 35; vorsichtiger St. Lorenz, IPRax 1993, 150.
[16] Darauf beruft sich OLG Hamm ZEV 2005, 439.
[17] Vgl. St. Lorenz, ZEV 2005, 441 m....

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