Rz. 25

Greift Art. 35 EuErbVO ein, so soll die Lösung zunächst durch Anpassung des ausländischen Rechts zu suchen sein, soweit dies sinnvoll möglich ist. Standardlösungen gibt es nicht. In manchen anderen Staaten tritt im Fall des ordre public-Verstoßes automatisch die inländische Rechtsordnung (lex fori) in Kraft.

 

Rz. 26

In Deutschland gilt der Grundsatz des "geringstmöglichen Eingriffs".[46] Es ist also unter möglichst weitgehender Anwendung der Rechtsregeln des anwendbaren ausländischen Rechts im Übrigen zu versuchen, durch einfache Außerachtlassung der problematischen ausländischen Regelung eine Regelung zu finden, die weitgehend das ausländische System beibehält. Freilich darf nicht übersehen werden, dass es auch bei vermeintlich "kleinen" Eingriffen zu einer erheblichen Umgestaltung des ausländischen Rechts kommen kann. Insbesondere dann, wenn an mehreren Stellen korrigiert wird, entsteht ein völlig neuartiges Mischsystem, das weder dem inländischen noch dem ausländischen Rechtssystem entspricht. Hier stellt sich die Frage, ob die Entwicklung derartiger Mischsysteme überhaupt noch dem Grundsatz des "geringstmöglichen Eingriffs" entspricht oder ob nicht die Korrektur auf kollisionsrechtlicher Ebene (Anwendung der lex fori als Ersatzrecht) das ausländische Recht mehr schont.

 

Rz. 27

So erben im Beispiel (Rdn 21) die Angehörigen so, als ob sie alle Moslems wären.
Nichtehelichen und anderen Kindern steht zumindest wertmäßig der gleiche Anteil an der den Abkömmlingen vorbehaltenen Nachlassquote zu wie ehelichen Abkömmlingen.
Die den Abkömmlingen vorbehaltene Gesamtquote ist bei Geltung islamischen Rechts unter Söhnen und Töchtern gleichmäßig zu teilen.
Schwieriger ist die Bestimmung der Erbquote der Witwe: Soll diese wie ein Witwer oder der Mann wie seine Witwe erben? Das Schrifttum zieht allein die erste Lösung in Betracht.[47] Diese Korrektur geht dann einseitig zu Lasten der Kinder. Man könnte auch die Lösung in der Mitte suchen und jeweils einen Anteil von 3/16 gewähren (materiellrechtliche Lösung). Am ehrlichsten wäre es m.E., der Witwe wie dem Witwer ein Viertel unter Bezugnahme auf § 1931 Abs. 1 BGB mit der Begründung zu gewähren, dem ausländischen Erbstatut lasse sich hier keine eindeutige Lösung entnehmen.
Fraglich ist auch, wie ein fehlendes Pflichtteilsrecht zu ersetzen ist. Ein fehlender Pflichtteil bedürftiger Angehöriger kann m.E. nicht durch ein volles Pflichtteilsrecht nach deutschem Recht ersetzt werden, denn das Ergebnis soll nicht auf deutschen Standard gebracht, sondern "erträglich" gestaltet werden. Man könnte es aber in freier Rechtsfortbildung durch eine angemessene Unterhaltsrente gegen den Nachlass, in der Höhe beschränkt auf den halben Wert eines gesetzlichen Erbteils, ergänzen.[48] Beschränkt man das Eingreifen des ordre public auf den Fall der Sozialhilfeabhängigkeit oder Bedürftigkeit Hinterbliebener, dürfte eine Unterhaltsrente gegen den Nachlass genügen. Geht man von einer generellen Garantie des Pflichtteils als bedarfsunabhängiger Mindestbeteiligung am Nachlass mit Verfassungsrang aus, käme bei vollständiger testamentarischer Enterbung wohl allein ein Rückgriff auf das deutsche Pflichtteilsrecht in Betracht, da jede Festsetzung eines "gerade noch erträglichen Mindestbetrages"[49] willkürlich wäre.[50]
[46] Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 16 VI, S. 538; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 36 V, S. 254.
[47] Dörner, IPRax 1994, 35; Erman/Hohloch, 14. Aufl. 2014, Art. 25 EGBGB Rn 8; St. Lorenz, IPRax 1993, 150. Dieses Ergebnis ist daher nicht logisch zwingend, wie es die genannten Literaturstimmen auf den ersten Eindruck vermuten lassen.
[48] Vgl. Klingelhöffer, ZEV 1996, 259.
[49] So z.B. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2014, § 16, S. 539.
[50] So St. Lorenz, ZEV 2005, 441.

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