A. Überblick
Rz. 1
Die EuErbVO reduziert durch den angestrebten Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht die praktischen Fälle der Anwendung ausländischen Rechts durch deutsche Gerichte erheblich. Dennoch kann es auch weiterhin zur Anwendung ausländischen Rechts kommen, wie z.B. bei im Inland belegenem Nachlass einer mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat verstorbenen Person (Art. 10 EuErbVO) oder im Fall einer testamentarischen Wahl des ausländischen Heimatrechts (Art. 22 EuErbVO). Die EuErbVO enthält hier an mehreren Stellen Sonderregelungen, die zur Vermeidung von unerträglichen Widersprüchen mit dem inländischen materiellen Recht eine Einschränkung der Anwendung des ausländischen Rechts zulassen:
▪ |
Der allgemeine ordre public-Vorbehalt in Art. 35 EuErbVO lässt die Nichtanwendung einer Vorschrift des nach der Verordnung bezeichneten Rechts eines anderen Staates zu, wenn ihre Anwendung "mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar" ist (siehe Rdn 4 ff.). |
▪ |
Erbrechtliche Sonderregelungen im Recht eines Staates, in dem sich bestimmte unbewegliche Sachen, Unternehmen oder andere besondere Arten von Vermögenswerten befinden, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Bezug auf jene Vermögenswerte aus "wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen" beschränken oder berühren, verdrängen gem. Art. 30 EuErbVO das Erbstatut, soweit sie nach dem Recht dieses Staates unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden sind. |
▪ |
Ein nach dem Erbstatut zustehendes dingliches Recht, das nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem das Recht geltend gemacht wird, unbekannt ist, ist gem. Art. 31 EuErbVO im Rahmen einer dinglichen Anpassung an das in der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaates am ehesten vergleichbare Recht zu übersetzen (siehe Rdn 41 ff.). |
▪ |
Nach Art. 29 EuErbVO kann das Gericht eines Mitgliedstaates, nach dessen Recht die Bestellung eines Verwalters verpflichtend oder auf Antrag verpflichtend ist, trotz Anwendbarkeit ausländischen Erbrechts einen oder mehrere Nachlassverwalter nach ihrem eigenen Recht bestellen. Diese Klausel zielt auf die in den common law-Rechtsordnungen zwingende administration ab und ist wegen des opt out von Irland allenfalls in Zypern, ggf. auch in Schweden, anzuwenden. |
Rz. 2
Daneben wird aber auch diskutiert, ob sich nicht auch aus "allgemeinen Regeln" des Kollisionsrechts weiterhin die Möglichkeit zur Abwehr ausländischen Erbrechts ergeben kann. Das betrifft insbesondere die folgenden Fälle:
▪ |
Die Fälle der arglistigen Umgehung des auf die Erbfolge eigentlich anwendbaren Rechts (siehe Rdn 28 ff.). Gemäß EG 26 EuErbVO soll die Verordnung ein Gericht nicht daran hindern, Mechanismen gegen die Gesetzesumgehung anzuwenden. |
▪ |
Die Anpassung in den Fällen, dass die gleichzeitige Anwendung verschiedener Rechtsordnungen auf einzelne Teile oder Fragen des Nachlasses zu inhaltlichen Widersprüchen führt. |
B. Der allgemeine ordre public-Vorbehalt
Rz. 3
Beispiel:
Der in Hamburg lebende ägyptische Erblasser hatte 1984 in Hamburg eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. Durch eigenhändig errichtetes Testament hat er die Erbfolge seinem ägyptischen Heimatrecht unterstellt. Nach seinem Tode hinterließ er neben seiner Witwe eine Tochter und einen Sohn. Die Kinder sind beide getauft. Einen in Alexandria lebenden Neffen hatte er zum Alleinerben eingesetzt. Dieser nimmt nun den gesamten Nachlass in Besitz, da die Ehefrau und die Kinder nach dem islamisch geprägten Erbrecht im ägyptischen ZGB als Ungläubige nach ihrem muslimischen Vater keinerlei Erbrechte hätten.
I. Rechtsgrundlage
Rz. 4
Die Verweisung durch das IPR auf das Recht eines ausländischen Staates ist in der Regel ergebnisoffen. Nicht zuletzt die Bindung der inländischen Gerichte an die Verfassung erzwingt aber, dass auch nach Verweisung auf eine ausländische Rechtsordnung durch das Kollisionsrecht – welches im Range einfachen Gesetzesrechts steht – übergeordnete Regeln des inländischen Rechtssystems nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Es ist daher international seit jeher anerkannt, dass der Vorbehalt der Grundwerte der inländischen Rechtsordnung (ordre public) einen elementaren Bestandteil des Kollisionsrechts darstellt. Dies gilt daher nicht nur für das deutsche nationale IPR (vgl. Art. 6 EGBGB), sondern auch für das europäische vereinheitlichte Internationale Kollisionsrecht (siehe z.B. Art. 12 Rom III-VO).
Rz. 5
Gemäß Art. 35 EuErbVO darf im Erbrecht die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts eines Staates nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts "offensichtlich unvereinbar" ist.
Rz. 6
Weil der ordre...