Rz. 3
Entgegen der liberalen Tendenz in Zuzugsfällen und entgegen den Ausführungen des Generalanwalts[12] hat der EuGH mit seinem Urteil vom 16.12.2008 in der Rechtssache Cartesio[13] die vielfach schon für überholt gehaltenen Grundsätze für den Wegzug von Gesellschaften aus der Daily-Mail-Entscheidung[14] bekräftigt. Danach sind die Mitgliedstaaten weitgehend frei darin, welche Anforderungen sie an die Fortexistenz einer nach ihrem Recht bestehenden Gesellschaft stellen. Da jede Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit von einer bestimmten Rechtsordnung ableitet, sind die darin durch den Mitgliedstaat frei bestimmbaren Anknüpfungsmomente für die (Fort-)Gewährung der Gesellschaft maßgeblich ("Geschöpftheorie").[15] Wegzugsbeschränkungen für Gesellschaften seien grundsätzlich nicht an Art. 49 und 54 AEUV zu messen.[16] Unter Wegzug in diesem Sinne versteht der EuGH die Lösung der bisherigen, nach nationalem Recht notwendigen tatsächlichen oder rechtlichen Anknüpfung, die mit dem Wunsch erfolgt, die von der nationalen Rechtsordnung des Wegzugsstaates gewährte Rechtsfähigkeit beizubehalten.[17] Ein Mitgliedstaat sei berechtigt anzuordnen, dass ein derartiges Verhalten zur Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft führt. In einem obiter dictum stellt der EuGH aber klar, dass ein Wegzug dann in den Anwendungsbereich der Art. 49 und 54 AEUV fällt, wenn die nach nationalem Recht gegründete Gesellschaft das "nationale Rechtskleid" im Zuge eines Wegzugsvorgangs abgeben und ihre Rechtsfähigkeit künftig von der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats ableiten möchte. Aus dem Argument des EuGH, jede Gesellschaft sei das Produkt ihrer Heimatrechtsordnung, folge konsequenterweise die Grenze der mitgliedstaatlichen Autonomie. Hinausumwandlungen (grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen) in einen anderen Mitgliedstaat werden daher grundsätzlich von der Niederlassungsfreiheit geschützt. Dies gilt nach ganz überwiegender,[18] mittlerweile auch vom EuGH in der Rechtssache VALE bestätigter[19] Ansicht auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel. In seiner Entscheidung Polbud vom 25.10.2017 hat der EuGH – entgegen den bisherigen Grundsätzen, wonach Niederlassung i.S.d. AEUV stets die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels fester Einrichtung auf unbestimmte Zeit im Aufnahmemitgliedstaat impliziere – sogar (wenig überzeugend) eine isolierte Satzungssitzverlegung ohne Ausübung irgendeiner Geschäftstätigkeit im Zielrechtsstaat als von der Niederlassungsfreiheit geschützt angesehen.[20]
Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?
Jetzt kostenlos 4 Wochen testen