Rz. 30
Nach § 100 VVG bzw. A1–4.1 Abs. 1 AVB (Ziff. 5.1 Abs. 1 AHB) hat der Versicherer seinem Versicherungsnehmer gegenüber im Rahmen eines einheitlichen Deckungsanspruches folgende Leistungen zu erbringen – und zwar
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nach Prüfung der Haftpflichtfrage, entweder |
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Freistellung von berechtigten oder |
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Rechtsschutz, also Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche. |
Berechtigt sind Ansprüche nach A1–4.1 Abs. 2 S. 1 AVB (Ziff. 5.1. Abs. 2 S. 1. AHB):
Zitat
"…wenn der Versicherungsnehmer aufgrund Gesetz, rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses oder Vergleich zur Entschädigung verpflichtet und der Versicherer hierdurch gebunden ist."
aa) Prüfung der Haftpflichtfrage
Rz. 31
Die Prüfung der Haftpflichtfrage, also ob und in welchem Umfang dem Dritten der behauptete Anspruch gegen den Versicherungsnehmer zusteht, leistet der Versicherer durch eigene Mitarbeiter. Wie der Versicherer im konkreten Fall seine Vertragspflichten (Freistellung oder Abwehr) erfüllt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen – er hat insoweit aber kein Erfüllungswahlrecht. Allerdings kann der Versicherer kleine Forderungen des Geschädigten auch ohne abschließende Prüfung und sogar bei entgegenstehender Rechtslage erfüllen, wenn dies wirtschaftlich vernünftiger ist, als die Haftpflichtfrage durch einen langjährigen, kostenintensiven Prozess zu klären.
bb) Freistellung von berechtigten Ansprüchen
Rz. 32
Stellen sich die Ansprüche als berechtigt heraus, wird der Versicherer den versicherungsvertraglichen Anspruch seines Versicherungsnehmers auf Freistellung von dieser Verbindlichkeit dadurch erfüllen, dass der Versicherer an den Dritten zahlt. Gewährt der Versicherer zunächst seinem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz in Form des Rechtsschutzes und führt der Geschädigte daraufhin einen Haftpflichtprozess gegen den Versicherungsnehmer, hat dieser bei Verurteilung gleichwohl einen Freistellungsanspruch hinsichtlich der zu seinen Lasten titulierten Forderung und der angefallenen Kosten.
cc) Abwehr unberechtigter Ansprüche
Rz. 33
Unberechtigte Ansprüche wehrt der Haftpflichtversicherer ab. Dies geschieht zunächst durch außergerichtliche Korrespondenz, die der Versicherer nach Schadensmeldung in der Regel unmittelbar mit dem anspruchstellenden Dritten führt. Nimmt der Geschädigte anschließend den Versicherungsnehmer gerichtlich in Anspruch, ist der Versicherer auf seine Kosten (A1–4.2 Abs. 2 AVB bzw. Ziff. 5.2. Abs. 2 AHB) zur Prozessführung verpflichtet.
Rz. 34
Der Versicherungsnehmer bleibt Partei des Haftpflichtprozesses, den der Versicherer jedoch steuert, indem er gem. B3–3.5 S. 2 AVB (Ziff. 25.5 S. 2 AHB) den Rechtsanwalt für den Versicherungsnehmer auswählt und beauftragt.
dd) Regulierungs- und Prozessvollmacht
Rz. 35
Der Versicherer hat gem. A1–4.2 Abs. 1 AVB 2012 (Ziff. 5.2 Abs. 1 AHB) eine umfassende Regulierungsvollmacht. Er hat nach A1–4.2. Abs. 2 AVB (Ziff. 5.2 Abs. 2 AHB) auch eine Prozessvollmacht. Die entsprechende Erklärung des Versicherers bindet den Versicherungsnehmer sogar über die Versicherungssumme hinaus und auch im Hinblick auf die Selbstbeteiligung. Die Regulierungsvollmacht bindet hingegen Mitversicherte (vgl. Rdn 28), die anders als der Versicherungsnehmer vertraglich nicht an den Versicherer gebunden sind, nur dann, wenn sich die Vollmacht des Versicherers aus konkreten Umständen ergibt. Ähnlich ist es bei der Prozessvollmacht. (Zu den diesbezüglichen Hinweispflichten des Rechtsanwaltes siehe Rdn 49.)