Dr. Susanne Creutzig, Prof. Dr. Jürgen Creutzig
Rz. 163
Aufgrund des Urteils des EuGH vom 26.3.2009 hat der deutsche Gesetzgeber mit Wirkung ab 5.8.2009 die Regelung des § 89b Abs. 1 Satz 1 HGB geändert: Nr. 2 – die Provisionsverluste des HV – wurde ersatzlos gestrichen. Damit wurde eine der drei Voraussetzungen eliminiert, die nach bis dahin geltender Gesetzeslage erfüllt sein musste, damit ein Anspruch auf den Ausgleichsanspruch dem Grunde nach bestand. Die Provisionsverluste bilden nunmehr lediglich noch einen Unterfall der Billigkeit.
Rz. 164
Der EuGH hat entschieden, dass die in Nr. 2 enthaltene Bedingung nicht mit Art. 17 Abs. 2a der HVRichtlinie 86/653/EWG vereinbar war. Denn, so der EuGH, diese Richtlinie sei handelsvertreterfreundlichst auszulegen, weil sie dem Schutz der Handelsvertreter diene. Es kommt nunmehr maßgeblich auf die Unternehmervorteile an. Unzulässig ist es daher, den Ausgleichsanspruch von vorneherein auf Provisionsverluste zu beschränken.
Rz. 165
Solche Unternehmervorteile werden regelmäßig dann zu bejahen sein, wenn der Unternehmer nach Vertragsbeendigung die Aussicht auf einen Unternehmergewinn ohne Provisionszahlungsverpflichtung hat. Unter dem Unternehmervorteil wird grds. jede wirtschaftliche Besserstellung, d.h. jeder Vermögenszuwachs und jeglicher Nutzen, verstanden, den der Unternehmer nach Vertragsende aus den geworbenen Neukunden noch ziehen kann. Er kann daher in dem Gewinn liegen, den der Unternehmer aus den Kundenbeziehungen zieht. Er kann auch den "good will" umfassen, der erst bei einer möglichen Veräußerung des Unternehmens relevant würde. Es reicht auch jeder mittelbare wirtschaftliche Vorteil im weitesten Sinne. Die Erheblichkeit der Unternehmervorteile richtet sich nach dem Umfang und der erwarteten Beständigkeit des vermittelten Neugeschäfts verglichen mit dem alten Geschäft.
Rz. 166
Sah der Handelsvertretervertrag vor, dass der HV auch für Konzernunternehmen vermittelte, wird der Wert des Kundenstammes und damit der Vorteil für den Unternehmer auf konzernweiter Basis bemessen. Dies hat der EuGH ebenfalls in seinem Urt. v. 26.3.2009 entschieden. Diese Situation ist besonders in der Versicherungsbranche nicht unüblich, wird nun aber weitreichende Konsequenzen haben, wenn auf alle Vorteile abgestellt wird, die Konzernunternehmen mit Kunden haben, die vom HV geworben worden sind.
Rz. 167
Im gerichtlichen Verfahren liegt die Beweislast für die Vorteile des Unternehmers grds. beim HV. Letzterer kann jedoch die genauen Unternehmervorteile nicht kennen; er hat keinen Einblick in die Betriebsunterlagen des Unternehmers und weiß nicht, in welchen Gewinnspannen dieser rechnet. Insofern fällt es dem HV nicht nur schwer, die Unternehmervorteile zu beziffern, da sie auf der Basis von Informationen zu begründen sind, die sich allein in der Sphäre des Unternehmers befinden. Der HV riskiert sogar die Abweisung seiner Klage mangels Schlüssigkeit. Daher wird in der einschlägigen Literatur als "sicherster Weg" die Erhebung einer Auskunftsklage empfohlen, zumindest dann, wenn zwischen den Parteien Uneinigkeit im Hinblick auf die Höhe des Ausgleichsanspruchs besteht. Nach anderer Ansicht soll es ausreichen, dass der HV nach wie vor seine Provisionsverluste darlegt und beweist, soweit der Unternehmer nichts Gegenteiliges nachweist. Dies dürfte jedoch gegen den eindeutigen Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 lit. a der HVRichtlinie 86/653/EWG und des § 89b HGB verstoßen und den Zweck vereiteln, den "angemessenen Ausgleich" primär am Unternehmervorteil zu orientieren. Es wäre daher konsequent, wenn der BGH dem HV deshalb – neben den bereits nach § 87c HGB bestehenden Auskunftsansprüchen – einen zusätzlichen Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB zubilligen würde. Denkbar ist auch, dass ein Gericht die Vorlage von entsprechenden Informationen durch den Unternehmer gem. § 142 ZPO anordnet. Erste unterinstanzliche Urteile zum Auskunftsanspruch liegen bereits vor. Das den Anspruch zusprechende Urteil des LG Düsseldorf wurde indes durch das OLG Düsseldorf aufgehoben. Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH kommentarlos zurückgewiesen. Dagegen hat das OLG Frankfurt den Auskunftsanspruch zugesprochen und die Revision zugelassen.
Rz. 168
Es ist weiter erforderlich, eine Vorteilsprognose anzustellen: Eine bei Vertragsbeendigung vorgenommene Prognose, die auf objektiv zu bestimmenden, gegenwärtigen oder vergangenen Umständen beruht, muss den Schluss nahe legen, dass der Unternehmer in der konkreten Situation erhebliche Vorteile aus der Tätigkeit des HV zu erwarten hat. Es kommt nicht darauf an, ob Vorteile tatsächlich beim Unternehmer eintreten. Auch hierbei handelt es sich um eine Prognose über die künftige Entwicklung der Verhältnisse. I.R.d. Prognose sind das Verhalten eines durchschnittlichen Unternehmers zu berücksichtigen sowie konkrete Umstände des Einzelfalls. In diesem Zusammenhang ist auf den Zeitpunkt der Beendigung des Handels...