Dr. Susanne Creutzig, Prof. Dr. Jürgen Creutzig
Rz. 170
Nach § 89b Abs. 1 Nr. HGB muss die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entsprechen. Der sog. Billigkeitsgrundsatz soll allen Besonderheiten Rechnung tragen, die bei der abstrakten Berechnung der Vorteilshöhe des Unternehmers nicht verwertet werden können. Hinzu kommen die Provisionsverluste des HV (vgl. dazu unten Rdn 178 ff.). Berücksichtigt werden die Umstände des Einzelfalles, und zwar im Rahmen einer zukunftsbezogenen Prognose bei Vertragsende.
Rz. 171
In seinem Urt. v. 26.3.2009 hat der EuGH festgestellt, dass die Handelsvertreter-Richtlinie von 1986, auf der die Regelung des § 89b HGB beruht, dazu dient, die Interessen der HV ggü. den Unternehmern zu schützen. Der Schutz des HV nach Vertragsbeendigung ist zwingendes Recht. Jede Auslegung der Richtlinie – so der EuGH – ist unzulässig, wenn sie sich für den HV "als nachteilig" erweist. Dementsprechend ist in Anwendung dieses Grundsatzes der gesamte § 89b HGB so auszulegen, wie es am handelsvertreterfreundlichsten ist. Dies gilt auch für die Billigkeitsprüfung und die dabei zu berücksichtigen Umstände.
aa) Umfang der Billigkeitsprüfung
Rz. 172
Die Billigkeitsprüfung kann den Ausgleichsanspruch einschränken bzw. im Extremfall sogar vollständig entfallen lassen. Als Umstände, die i.R.d. Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind, kommen nach dem Schutzzweck der Norm grds. nur vertragsbezogene und keine sachfremden oder willkürlichen Umstände in Betracht. Billigkeitsbeschränkende Umstände können bspw. sein:
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ein arglistiges Verhalten des HV, |
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ggf. das Angebot des Unternehmers auf Abschluss eines Ersatzvertrages mit dem HV für einen gekündigten Vertrag und dessen Ablehnung, |
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die Schädigung des Goodwills des Unternehmers, |
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die Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit des HV nach Vertragsbeendigung, |
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die Selbsttötung des HV, |
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ggf. die Sogwirkung der Marke aufgrund ihres Bekanntheitsgrades. |
Rz. 173
Nicht dagegen sollen i.R.d. Billigkeit berücksichtigt werden:
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das Alter des HV, |
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die Erwerbsfähigkeit des HV, |
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Exportschwierigkeiten hinsichtlich der Ware des Unternehmers, |
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der Gesundheitszustand des HV und Ähnliches. |
Rz. 174
Auch die Insolvenz des HV lässt den Ausgleichsanspruch grds. nicht entfallen. Der BGH ist der Auffassung, dass aus der Zweckbestimmung des Ausgleichsanspruchs der Grundsatz abgeleitet werden müsse, dass es auf die Gründe für die Beendigung des Vertragsverhältnisses ebenso wenig ankomme wie darauf, ob der HV bei der gedachten Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses überhaupt noch zur Vermittlung weiterer provisionspflichtiger Geschäfte imstande gewesen wäre.
Rz. 175
Sofern der Unternehmer dem HV eine Alterversorgung gewährt, wird diskutiert, ob diese i.R.d. Billigkeit in Abzug zu bringen ist, und zwar i.H.d. Anwartschaftsbarwertes. Teilweise wird argumentiert, eine Anrechnung habe zu erfolgen, da sie als Teil des Leistungsgegenleistungsverhältnisses gewährt werde und somit mit dem Handelsvertretervertrag in einem unmittelbaren Zusammenhang stehe; dies ist aber nur der Fall, wenn die Altersversorgung den praktischen Zweck einer Ausgleichszahlung übernimmt. Insofern muss die Altersversorgung in angemessener Zeit nach dem Handelsvertretervertragsende fällig werden und darf nicht für eine besondere Gegenleistung des HV gezahlt werden.
Rz. 176
Auch der BGH erachtet im Einzelfall eine Anrechnung der Altersversorgung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit für zulässig: In seinem Urt. v. 20.11.2002 urteilte er zwar, die im Handelsvertretervertrag aufgeführte Anrechnungsklausel verstoße gegen § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 HGB i.V.m. § 307 BGB und sei deswegen unwirksam. Die Anrechnungsklausel schreibe den Abzug des Anwartschaftsbarwertes bindend vor und berücksichtige keine Einzelfälle. Damit sei eine differenzierte, i.R.d. § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB zwingend vorgeschriebene Billigkeitsabwägung ausgeschlossen. Ein Abzug des Barwertes sei aber dann möglich, wenn dies § 89b HGB unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit gestatte. Eine Vertragsbestimmung, wonach der HV mit der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs auf Leistungen des Unternehmers auf Zahlung von Treuegeld verzichtet, ist wirksam.
Rz. 177
Generell soll nach Auffassung der Rspr. im Fall der Gewährung einer Altersversorgung durch den Unternehmer der Barwert der Versorgungsleistung dem Ausgleichsanspruch des HV ggü. gestellt werden, und zwar in Gestalt einer Saldierung im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung. Sofern im Ergebnis der Barwert der Versorgungsleistung höher als der Ausgleichsanspruch ist, soll der Unternehmer dem HV Ausgleich schulden.