Dr. Susanne Creutzig, Prof. Dr. Jürgen Creutzig
Rz. 196
Nach § 89b Abs. 3 HGB können Gründe vorliegen, die den Eintritt der Ausgleichspflicht ausnahmsweise ausschließen.
aa) Eigenkündigung des Handelsvertreters (§ 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB)
Rz. 197
Der Ausgleichsanspruch besteht nach § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB nicht, wenn der HV das Vertragsverhältnis selbst gekündigt hat. Ausnahmsweise schadet eine Eigenkündigung nicht, wenn ein Verhalten des Unternehmers zu ihr geführt hat oder wenn dem HV eine Fortsetzung seiner Tätigkeit aufgrund seines Alters oder wegen Krankheit nicht mehr zugemutet werden kann.
(1) Begründeter Anlass im Verhalten des Unternehmers (§ 89b Abs. 3 Nr. 1, 1. Alt. HGB)
Rz. 198
Ein begründeter Anlass i.S.d. § 89b Abs. 3 Nr. 1, 1. Alt. HGB liegt immer dann vor, wenn ein wichtiger Grund zur Kündigung für den HV i.S.d. § 89a HGB existierte; der Anlass ist allerdings ein Minus ggü. dem wichtigen Kündigungsgrund. Der begründete Anlass muss im Verhalten des Unternehmers seinen Ursprung finden. Äußere Umstände, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat, sind davon nicht umfasst. Es geht lediglich um alle aus seiner eigenen Sphäre kommenden Umstände. Der HV muss in eine für ihn nach Treu und Glauben nicht haltbare Lage gekommen sein und sieht sich deshalb als "vernünftig und billig denkender Kaufmann" zur Kündigung veranlasst.
Rz. 199
In der Praxis haben sich einige Fallgruppen herausgebildet, wann ein Verhalten des Unternehmers einen begründeten Anlass zur Kündigung gibt:
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alle wichtigen, aus der Sphäre des Unternehmers resultierenden Kündigungsgründe des HV, |
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mangelhafte Ausführung von Bestellungen, |
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unberechtigte Nichtzahlung der Provision des HV, |
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unberechtigte Verkleinerung des Bezirks durch den Unternehmer, |
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Produktionseinschränkungen des Unternehmers, |
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Provisionskürzungen, |
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Sortimentserweiterung des Unternehmers, wodurch der HV in Konkurrenzsituationen zu einem anderen von ihm vertretenen Prinzipal gerät. |
(2) Keine Zumutung der Fortsetzung der Tätigkeit wegen Alters/Krankheit (§ 89b Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. HGB)
Rz. 200
Auch § 89b Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. HGB sieht eine Ausnahme vom Ausschluss des Ausgleichsanspruchs wegen Eigenkündigung des HV vor. Dies ist der Fall aufgrund des Alters oder Krankheit des HV. Eine Kündigung wegen Alters wird dem HV i.d.R. mit Erreichen des allgemeinen Renten- bzw. Pensionsalters, also zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr, zuerkannt.
Rz. 201
Schwieriger ist die Begründung des Nichtvorliegens des Ausschlusses des Ausgleichsanspruchs im Fall der Krankheit des HV. Eine solche liegt nach dem BGH immer dann vor, wenn eine Störung des gesundheitlichen Zustands schwerwiegend und von nicht absehbarer Dauer ist und sie dadurch zu einer auch mit Ersatzkräften nicht behebbaren nachhaltigen Behinderung der Absatztätigkeit für den Unternehmer führt. Diese Umstände sind im Einzelfall sorgfältig zu prüfen.
Rz. 202
Die Fortsetzung der Tätigkeit muss für den HV unzumutbar sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn der HV, bei objektiver Würdigung der Umstände, seine Vertragsverpflichtungen binnen angemessener Zeit nicht mehr oder nur noch mit überobligationsmäßigem Einsatz erfüllen kann. Es ist dabei auf die Fortsetzung des konkreten Vertragsverhältnisses abzustellen, sodass alle Umstände des Einzelfalles Beachtung finden.
bb) Kündigung des Unternehmers aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters (§ 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB)
Rz. 203
Nach § 89 Abs. 3 Nr. 2 HGB scheidet ein Ausgleichsanspruch ferner aus, wenn der Unternehmer dem HV aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens kündigt. Der Begriff des wichtigen Grundes entspricht dem des § 89a HGB. Eine Fahrlässigkeit des HV nach § 276 BGB wird für ausreichend erachtet. § 278 BGB ist indes nicht anwendbar. Die außerordentliche Kündigung muss kausal durch das schuldhafte Verhalten des HV verursacht worden sein. Dies ist u.a. nicht zu bejahen bei nicht zu vertretener Insolvenz des HV, bei einem zu geringen Pro-Kopf-Umsatz des HV im Vergleich zu anderen Absatzmittlern oder aber einer Verdachts- bzw. Druckkündigung. Schuldhaftes Handeln liegt auch nicht vor, wenn ein Tankstellenhalter entgegen einer ihm erteilten Weisung jahrelang Kraftstoff auf Kredit verkauft hat und die Mineralölgesellschaft die Kreditgewährung über Jahre geduldet hat. In einem solchen Fall muss einer Kündigung aus wichtigem Grunde zunächst eine Abmahnung vorausgehen. Dagegen führen wesentliche Vertragsverletzungen des HV, insb. unzulässiger Wettbewerb, regelmäßig zum Ausschluss des Ausgleichsanspruchs. Der Unternehmer trägt die Beweislast für das Verschulden des HV.